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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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aber nicht zu Wirklichkeit wurden, doch auf die Fragen, die sich ihm jetzt stellten, schien es nur mehrdeutige Witterungen als Antwort zu geben. Wenn sie ihn im Fall Peteris Ziemelis hätten belügen wollen, warum haben sie ihm dann gesagt, das Todesurteil sei vermutlich vollstreckt, obwohl er in Wahrheit noch lebte? War dies einer der vielen Hinweise darauf, dass die Angaben doch authentisch waren? Oder hatte er auch hier nur einen Zipfel der ganzen Wahrheit zu fassen bekommen? Hilf mir dabei, die Gerüche zu addieren, dachte er. Den Geruch der Küste Gotlands an einem Maimorgen um 4 Uhr. Den Geruch von Zeltbahnen. Den Geruch schwedischer Polizei. Den Geruch von Krankenhäusern, Einsamkeit, den Geruch der Verzweiflung. Den Geruch ihrer Worte, als sie halbvergessene Gefühle zu formulieren versuchten. »Die Zeit in Gälltofta war die schlimmste.« Warum? »Nun, es war einfach so, ich kann es nicht näher erklären.«
    War es recht, sie auszuliefern? Warum zog die Auslieferung der Balten so weitreichende Konsequenzen nach sich, warum hatte sie soviel Staub aufgewirbelt? Sollte er eine Antwort von links oder eine von rechts wählen? »Faschistische und reaktionäre Elemente haben einmal mehr gezeigt, dass ihre interessengebundene und gefühlsmäßige Abneigung gegen die Arbeiterklasse ihr Denken und Handeln bestimmt. Die Interessen des Landes werden hintangestellt. Sie haben alles getan, um das Verhältnis Schwedens zur Sowjetunion zu komplizieren, das ohnehin schon nicht sehr gut ist. Schweden liefert Quislinge, Kriegsverbrecher, SS-Männer und gewöhnliche Soldaten aus Norwegen, Dänemark und einer Reihe anderer Länder aus, ohne sich ein Prüfungsrecht vorzubehalten, ohne Einwendungen zu erheben. Wir wissen, dass diese Männer strenge Strafen zu erwarten haben, oft die Todesstrafe, aber sie werden ausgeliefert. Die Sowjetunion dagegen soll unbedingt anders eingestuft werden. Der Sowjetunion gegenüber brauchen Zusagen nicht eingehalten zu werden, völkerrechtliche Usancen werden einfach nicht beachtet. Die Sowjetunion, die die Welt von der nazistischen Gewaltherrschaft befreit hat, soll unter allen Umständen zum Buhmann gemacht werden.« Dies war die Linke, im Dezember 1945. »Für viele Schweden ist das, was hier geschehen ist, eine immer noch schmerzende Wunde, eine Pestbeule. Sie ist von der Art, die nicht von selbst verheilt. Sie muss aufgeschnitten werden.« Die Rechte. Was antwortete er selbst? Konnte er einer Antwort noch länger aus dem Weg gehen?
    Im Herbst 1967 kam er wieder nach Schweden zurück und sprach mit vielen über das, was er erlebt hatte. Er bemühte sich sehr, wie es seiner lupenrein liberalen Erziehung entsprach, nicht kategorisch zu werden, aber der Kern dieser ganzen Geschichte schien doch der zu sein, dass es den Ausgelieferten nicht allzu schlecht ergangen war. Man hatte sie nicht hingerichtet, die meisten waren freigelassen worden. Die zu Freiheitsstrafen Verurteilten waren in den allermeisten Fällen freigelassen worden. Sie waren in ihre Heimat zurückgekehrt. Sie wohnten in Lettland. Man konnte sie besuchen.
    Die Reaktionen waren manchmal recht merkwürdig.
    Einige seiner Gesprächspartner waren sehr froh, aber nicht etwa, weil die ehemaligen Legionäre davongekommen waren, sondern weil diese Tatsache sich als politisches Argument ausschlachten ließ.
    Einige waren offensichtlich betrübt.
    – Es ist nicht zu Massenhinrichtungen gekommen, wie man immer geglaubt hat, sagte er. Es hat kein Blutbad gegeben, niemand wurde aufgehängt. Einige wurden vor Gericht gestellt. Für eine kleinere Gruppe ist die Auslieferung zu einer persönlichen Tragödie geworden, aber das scheint besondere Gründe gehabt zu haben. Für die meisten ist das Leben aber wieder lebenswert. Nicht glänzend, aber durchaus erfreulich.
    – Ach so, sagten sie. Aha.
    – Aber freut ihr euch denn nicht darüber? sagte er. Es hat kein Blutbad gegeben! Sie sind davongekommen!
    – Na, so was, sagten sie. Wenn’s stimmt?
    – Es scheint wahr zu sein, jedenfalls ist es höchst wahrscheinlich.
    – Ach so, sagten sie.
    – Macht euch das nicht glücklich?
    – Doch, schon … Doch, doch.
    Er wusste trotzdem, dass diese Menschen weder Zyniker, Menschenverächter noch mit moralischer Blindheit geschlagen waren. Sie waren aber seit so langer Zeit daran gewöhnt, die Legionäre und die Auslieferung als ein politisches Argument zu betrachten, dass sie darüber die Menschen vergessen hatten. Und wenn sich herausstellte, dass sie

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