Die Ausgelieferten
wollten sie erreichen, dass die Amnestien sich auf größere Gruppen erstreckten. Nahm Eichfuss an diesem Aufruhr teil? War er einer der Rädelsführer, oder nahm er überhaupt aktiv teil? Was dachte er über sein Leben? Hielt er die Zeit in Schweden für den entscheidenden Abschnitt in seinem Leben, war alles, was vorher oder nachher geschah, nur schmückendes Beiwerk? Hatte er nur gelebt, um in Ränneslätt und während der folgenden Monate eine Hauptrolle zu spielen? Wie erlebte er die Zeit in Norilsk? Was war er für ein Mensch?
»Während der Lagerzeit in Norilsk habe ich Eichfuss immer für einen hochmütigen Menschen gehalten – er sah immer so aus, als hätte er in seinem Leben etwas Großes vollbracht, als wäre er ein bedeutender Mann.« Haben Sie nie einen Fluchtversuch unternommen? »Wie hätte ich das anstellen sollen? Bis zum nächsten Bahnhof waren es 1700 Kilometer.« Ist Eichfuss tatsächlich gestorben?
Im September 1967 bat der Untersucher auch um biographische Angaben über Eichfuss sowie über dessen Verbleib. Seine Bitte wurde rasch erfüllt; die folgenden Angaben sind eine Zusammenfassung dessen, was er zu sehen bekam. Diese Informationen stammen also aus sowjetischen Archiven und werden selbstverständlich mit den gleichen Vorbehalten wiedergegeben wie die weiter oben gemachten Angaben.
Gegen Ende der dreißiger Jahre war Elmars Eichfuss-Atvars Offizier der lettischen Armee. Nach Abschluss des Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakts, in dem Lettland als der russischen Interessensphäre zugehörig bezeichnet wurde, forderte Hitler alle Baltendeutschen auf, nach Deutschland zurückzukehren. Eichfuss war Baltendeutscher; er verließ Lettland und meldete sich zur deutschen Wehrmacht, in der er bald zum Oberleutnant avancierte. Nach dem Kriegsausbruch finden wir ihn als Chef einer »Sondertruppe« wieder – der Zusammenhang ist hier sehr unklar, es ist möglich, dass er inzwischen zur SS übergewechselt ist. Eines steht immerhin fest: er gehört zum Wachpersonal eines Lagers für russische Kriegsgefangene in Schitomir in der Ukraine.
Eichfuss ist dort »Chef einer Sanitätsabteilung« – was darunter zu verstehen ist, geht aus den Akten nicht hervor, es ist aber denkbar, dass er die Krankenpflege in diesem Lager übernommen hat. In der Gerichtsverhandlung wurde er jedoch unter anderem auch angeklagt, einem Verband angehört zu haben, der in einem kleinen russischen Dorf in dieser Region Zivilpersonen ermordet haben soll.
Eichfuss erhielt das Eiserne Kreuz Erster und Zweiter Klasse.
1942 kam er zum SD. Er arbeitet in dieser Organisation als »Sonderführer«. 1944 kehrt er nach Lettland zurück. Über diese Zeit ist nichts bekannt. Er flieht nach Schweden, wird ausgeliefert. 1947 wird er zu zehn Jahren Straflager verurteilt.
Denselben Quellen zufolge wurde Eichfuss 1954 freigelassen.
Es bleiben viele Fragen offen. Die Zeit bis 1942 erscheint recht verwirrend; einmal taucht Eichfuss als Angehöriger der Wehrmacht auf, einmal als »Sanitätsoffizier« in einem Kriegsgefangenenlager. Die Anklage, er sei bei den Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung von Schitomir beteiligt gewesen, scheint auf wackligen Füßen zu stehen, selbst wenn man berücksichtigt, dass es in diesem Gebiet zu entsetzlichen Verbrechen an der Zivilbevölkerung gekommen ist: dass die Deutschen hier schrecklich gehaust haben, wurde 1967 bei einem Kriegsverbrecherprozess in Darmstadt deutlich; in diesem Verfahren waren die Vernichtungsaktionen im Raum Schitomir ein Bestandteil der Anklagepunkte. Es wurden entsetzliche Einzelheiten enthüllt. Aber hatte auch der Sanitätsoffizier Eichfuss an diesen Aktionen teilgenommen? Gab es in den Lagern nicht genug zu tun? Seine Strafe – zehn Jahre – erscheint auch seltsam niedrig im Verhältnis zu den ernsten Anklagen, die gegen ihn erhoben wurden. Das hat auch der lettische Historiker, der dem Untersucher bei den Ermittlungen half, mit einigem Erstaunen hervorgehoben.
Jedoch: vergleicht man diese Angaben mit dem Bericht, den Eichfuss selbst gegenüber Generaldirektor Axel Höjer abgegeben hat, so kann man feststellen, dass die beiden Versionen des Lebenslaufs einander nicht völlig widersprechen, sondern sich sogar ergänzen und stützen. Dass er in Schitomir gedient hat, scheint aus beiden Versionen gleichermaßen deutlich hervorzugehen.
Ein Punkt ist jedoch völlig unklar: die Freilassung Eichfuss’ im Jahre 1954. Ist er in Freiheit gestorben?
– Und sein weiteres
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