Die Ausgelieferten
davon, dass er sich geweigert hätte, in einer Konservenfabrik in Murmansk zu arbeiten. Er hatte große Angst.«
Es dauerte eine Weile, aber schließlich rückte Lapa mit der Sprache heraus. Er müsse einen neuen Pass bekommen, er brauche Hilfe. Es gebe in Sommen einen baltischen Pfarrer, mit dem er schon Verbindungen angeknüpft habe und der unter Umständen einen falschen Pass besorgen könne. Dies sei seine letzte Chance. Ob er mit der Hilfe Strands rechnen könne? Er müsse seine Identität wechseln.
Das Zimmer war sehr klein, Lapa hatte seit fünf Tagen gefastet, er hatte ein rundes, recht grob geschnittenes Gesicht. Strand konnte nicht das geringste für ihn tun.
– Es geht nicht, sagte er. Es wäre eine Amtspflichtverletzung, überdies ist es zwecklos. Die Zeit ist zu kurz. Das einzige, was Sie tun können, ist, eine Eingabe zu schreiben oder eine Beschwerde an die schwedischen Behörden zu richten. Mit einem falschen Pass kann ich Ihnen leider nicht dienen.
Sie sprachen noch eine Viertelstunde miteinander. Lapa machte einen sehr aufgewühlten, fast verzweifelten Eindruck. Er sprach immer schneller, versuchte nicht länger zu flüstern, benahm sich merkwürdig exaltiert, sprang oft gestikulierend auf. Am Ende des Gesprächs weinte er, ohne einen Grund dafür angeben zu können. Er weinte nur und hörte schließlich auf zu sprechen, verbarg sein Gesicht in den Händen. Strand konnte nichts für ihn tun. Er ging weg, und Lapa blieb unter der Glühbirne sitzen, das Gesicht in den Händen verborgen.
Dies geschah in der Nacht zum 28. November.
Am Morgen kam der wachhabende Tagesoffizier Patrik Lindén in die Offiziersbaracke, um deren Insassen zu zählen. Er betrat das Gebäude um 8.20 Uhr, bekam in jedem Zimmer Auskunft über die Zahl der Anwesenden, verglich mit seinen Listen, ging von Raum zu Raum. Im zweiten Stock begann er in einem Zimmer mit vier Offizieren, die alle in ihren Betten lagen. Gleich daneben lag das Zimmer von Lapa, aber die Tür war verschlossen, und Lapa antwortete nicht, weder auf Rufe noch auf Klopfen.
Lindén fragte die vier Offiziere im Nebenzimmer, was geschehen sei, aber sie lächelten nur. Einer stand jedoch auf und holte eine Axt.
Die Tür zu Lapas Zimmer wurde aufgebrochen.
Lapa lag tot in seinem Bett, und die Birne an der Decke brannte immer noch. Auf dem Fußboden lag ein Messer; es war viel Blut geflossen. Die rechte Hand Lapas ruhte auf seinem Kopf, was man als abwehrende oder triumphierende Geste deuten konnte.
Alle standen an der Tür und guckten. Allmählich gab es ein Gedränge, und Lindén entdeckte unter den Gaffern zu seinem Erstaunen auch einen Zivilisten. Er fragte nach dessen Namen und erfuhr, dass es Pastor Sakarnis war.
Alle Unbefugten wurden sofort hinausgeworfen.
Lapa lag, nur mit Hemd und Unterhosen bekleidet, auf dem ordentlich gemachten Bett. Das Laken und die übrige Bettwäsche waren über und über mit Blut beschmiert. Auf dem Fußboden war eine große Blutlache. Der linke Unterarm des Toten war völlig blutverkrustet, und auf der Innenseite des Handgelenks, in der Nähe der Pulsader, fand sich eine anderthalb Zentimeter lange Wunde. Die Pulsader war jedoch nicht aufgeschnitten, offenbar hatte Lapa versucht, an dieser Stelle zu beginnen. An der Innenseite des linken Fußes, unmittelbar unterhalb des Fußknöchels, fand sich eine weitere Wunde, die etwa zwei Zentimeter breit war, und in der Nähe des Herzens, vier Zentimeter unterhalb der linken Brustwarze, noch eine. Dieser Stich, der eine dreieinhalb Zentimeter breite Wunde hinterlassen hatte, war offenbar tödlich gewesen. Der linke Arm hing schlaff herunter, und unter dem Handgelenk lag ein blutiges Messer mit einer vierzehn Zentimeter langen und zweiundzwanzig Millimeter breiten Klinge; mit diesem Messer war der Selbstmord verübt worden.
Diese Waffe sowie einige Rasierklingen wurden von der Polizei beschlagnahmt und auf der Wache hinterlegt.
Man stellte ohne zu zögern die Diagnose: Selbstmord. Dem polizeilichen Protokoll zufolge brannte die Glühbirne bis 10.45 Uhr am 28. November 1945.
Einen Tag vorher, am 27. November, hatte Eichfuss seine erste Pressekonferenz abgehalten. In seiner Begleitung hatten sich der jüngste Lagerinsasse, Alexanders Austrums, der erst sechzehn Jahre alt war, und der älteste befunden, Ernst Kalsons, zweiundsechzig. Am Morgen dieses Tages hatte einer der Balten, Gustavs Vilks, versucht, Selbstmord zu begehen. Er hatte sich ein Messer in die Brust gestoßen, aber
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