Die Ausgelieferten
Terinz und Sakarnis sowie die beiden schwedischen Pastoren Brodin und Stahle.
Der letztgenannte war Propst in Eksjö.
Als Lichtquellen dienten Kerzen, die in Eksjö gesammelt und den Internierten geschenkt worden waren. Stahle leitete den Gottesdienst mit einer kurzen Predigt über den 23. Psalm ein, »Der Herr ist mein Hirte«. Darauf folgte die katholische Messe, die der katholische Pater in vollem Ornat zelebrierte. Eine Orgel war nicht vorhanden, man behalf sich mit einer Ziehharmonika. Danach die Abendmahlsfeier. Pastor Terinz beschloss den Gottesdienst.
Es konnten nicht alle Balten teilnehmen, da mehrere nicht kräftig genug oder auch nicht gewillt waren, den Andachtsraum aufzusuchen. Der Gottesdienst wird als eindeutig ökumenisch und sehr ergreifend bezeichnet.
Einem Fotografen von der Presseabteilung der Armee und einem Wochenschaumann der »Svensk filmindustri« hatte man erlaubt, dem Gottesdienst beizuwohnen. Alle Bilder sind von hinten aufgenommen, sie zeigen die Rücken einiger Teilnehmer und einen Pfarrer. Der Film, der ebenso eindringlich ist wie die Fotos, scheint Oscars Sakarnis zu zeigen.
Im übrigen lassen sich aus Bildern oder Zeugnissen keine Schlussfolgerungen ziehen. In einem Bericht versucht einer der schwedischen Pfarrer jene »ernste Stimmung« zu charakterisieren, »die man nie mehr erlebt, diese Stille, Andacht, ein Gefühl, vor dem Ungewissen zu stehen, aber auch ein Gefühl des Gottvertrauens, mit dem man seine künftigen Tage in die Hand des Herrn legt«.
Als Oscars Sakarnis das Lager von Ränneslätt zum erstenmal besuchte, war sein stärkstes Gefühl das eines Abstands. Obwohl die Internierten seine Landsleute waren, war es nicht leicht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. An religiösen Dingen schienen sie nur mäßig interessiert zu sein, ja, bei den meisten glaubte er sogar eine gewisse Verachtung für die Botschaft zu spüren, die er den Insassen bringen wollte. Die Gottesdienste wurden zwar besucht, aber einen wirklichen Kontakt mit den Legionären konnte er leider nie herstellen.
Der erste Besuch vom 8. September war also ein Misserfolg. Bei seinem zweiten Besuch in der Zeit vom 25. bis zum 29. November fand er eine völlig veränderte Stimmung vor. Allerdings war seine Funktion jetzt anders, auch die Umstände hatten sich geändert.
Während dieser Tage wohnte er in einem Hotel in Eksjö. Er ging jeden Tag ins Lager. Man findet ihn auf mehreren Fotografien; ein Mann mit rundem Gesicht, ungefassten Brillengläsern, der von ernst dreinblickenden Internierten umgeben ist. Er selbst war im Oktober 1944 nach Gotland geflohen, später bekam er eine Stellung im Diakonischen Amt. Politische Merkmale: »Die Deutschen machten ihren schwersten Fehler beim Angriff auf Russland. Hätten sie den baltischen, weißrussischen und ukrainischen Völkern eine Autonomie zuerkannt, hätten sich alle Randstaaten wie ein Mann gegen die Unterdrücker in Moskau erhoben. Der russische General Wlassow, der zu den Deutschen übergelaufen war, hätte als großes Vorbild dienen können.«
Auf allen Bildern sieht er ernst aus und macht einen sehr entschlossenen Eindruck. Im November war die Stimmung ja auch ganz anders, als sie im September gewesen war. Eichfuss fand er jedoch nie sympathisch.
Auf dem Hof vor den Baracken versammelten sich die Balten zweimal am Tag, um »Ein’ feste Burg ist unser Gott« zu singen.
Einer der baltischen Pfarrer hatte eine Tochter, Martha. Sie war Krankenschwester und kam während des Hungerstreiks jeden Tag ins Lager. Sie hatte dunkles Haar, und viele hielten sie für sehr hübsch. Eines Nachts führte sie mit Eichfuss ein langes Gespräch.
Sie erörterten eingehend den Hungerstreik und die Möglichkeiten, mit seiner Hilfe die öffentliche Meinung und die Regierung zu beeinflussen. Sie saßen in einer der leerstehenden Barackenunterkünfte; im Verlauf der Unterhaltung begann Eichfuss, Bruchstücke aus seinem Leben zu erzählen. Nachdem sie viele Stunden zusammengesessen hatten, bat Eichfuss sie, seine Frau zu werden.
Die Motive für diesen Antrag sind unklar; es ist denkbar, dass Eichfuss davon ausging, er als Ehemann einer schwedischen Staatsbürgerin würde nicht ausgeliefert werden. Er erwähnte übrigens nicht, dass er bereits verheiratet war und dass seine Frau und ihre drei Kinder in Deutschland lebten.
Es ist möglich, dass diese Episode nur als einer von vielen Versuchen betrachtet werden kann, mit denen Eichfuss seine persönlichen Probleme lösen
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