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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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das Herz verfehlt; er lag jetzt im Krankenhaus.
    Die Journalisten, die sich schon seit mehreren Tagen in Eksjö aufgehalten hatten, hörten den Worten Eichfuss’ aufmerksam zu. Nachdem dieser sich vorgestellt hatte, erklärte er, dass seine Großmutter väterlicherseits Schwedin sei und Johansson heiße. Dann begann er zu sprechen.
    »Die Stimmung ist gut, auch unter den Männern, die im Krankenhaus liegen. Wir führen unseren Kampf nicht nur für uns selbst, sondern auch für die anderen Balten in Schweden und für das schwedische Volk. Was daheim in unserem Land geschehen ist, wissen wir sehr gut: die Gräber sprechen eine deutliche Sprache. Unser Schicksal ist gewiss. Wenn man einmal nachgibt, kommen immer neue Zugeständnisse; das wissen wir seit 1940.
    Ich möchte betonen, dass unsere Auslieferung ohne eingehende Prüfung aller damit zusammenhängenden Fragen beschlossen worden ist. Unter uns befinden sich Kinder, die nie Soldaten waren. Die Hilfe des Roten Kreuzes haben wir abgelehnt, da wir alle politische Flüchtlinge sind. Fünfzig Mann von uns sind niemals Soldaten gewesen, andere sind aus der Roten Armee desertiert. Unser passiver Widerstand richtet sich nicht gegen das schwedische Volk, seinen König oder seine militärische Führung. Unser Kampf gilt nur dem Recht und der Humanität. Gegen Soldaten oder Polizisten werden wir keine Gewalt anwenden.
    Wir haben für einen gemeinsamen Selbstmord alles vorbereitet. Der Selbstmordversuch von heute nacht war nur eine Demonstration. Wir haben unsere Streikposten verstärkt, um verfrühte Selbstmorde zu verhindern; sie sollen auch Alarm geben, wenn es soweit ist. Die erforderlichen Mittel haben wir schon: ein medizinisches Präparat, das einen sofortigen Herzstillstand herbeiführt. Dieses Mittel ist schon während des Krieges angewendet worden. Von schwedischen Medikamenten dagegen werden wir keinen Gebrauch machen.
    Seit dem 21. November – die Nachricht von der Auslieferung bekam ich als Geburtstagsgeschenk – habe ich nur drei Stunden geschlafen. Was uns alle aufrechthält, ist allein der Wille. Vierundzwanzig Streikposten wachen Tag und Nacht in unserem Lager. Wir haben nicht die Absicht, mit anderen Lagern gemeinsame Sache zu machen. Ich selbst bin bereit, als letzter zu sterben.«
    Eichfuss erklärte ferner, dass sein christlicher Glaube unerschüttert sei, und wiederholte, dass viele der Legionäre Zivilisten seien, die nie für Deutschland, wohl aber gegen Nazismus und Bolschewismus und für die Sache Lettlands gekämpft hätten. »Ich selbst besitze noch viel Material über meine antinazistische Untergrundarbeit. An Judenverfolgungen haben wir nie mitgewirkt.«
    Eichfuss wird als ein dreiunddreißigjähriger Mann von mittlerem Wuchs und mit hellen, offenen Zügen beschrieben, »etwas gealtert durch die vielen schlaflosen Nächte, ein Eindruck, der durch den Vollbart noch verstärkt wird, aber er ist noch immer ein Mann mit ungebrochener Vitalität«.
    Er schloss die Pressekonferenz mit den Worten:
    – Wir verlangen nur eines: gebt uns einen ehrenvollen Soldatentod!
    Danach kehrten die drei Balten wieder ins Lager zurück.
    Über die Formen des Widerstands hatten sie oft diskutiert, ob man den Protest passiv durch einen Hungerstreik ausdrücken sollte oder aber aktiv mit Hilfe von Selbstverstümmelungen, Selbstmorden und Ausbruchsversuchen; aber nach der Auseinandersetzung des ersten Abends schien die Frage entschieden zu sein. Eichfuss hatte gewonnen, Gailitis und seine militantere Anhängerschaft verhielten sich ruhig, nicht zuletzt deshalb, weil Eichfuss mit seiner Aufgabe zu wachsen schien und eine wunderbare Fähigkeit hatte, mit den Schweden umzugehen, besonders mit den Presseleuten.
    Lapas Selbstmord ließ die Gegensätze wieder aufbrechen.
    Um die Mittagszeit des 28. November, am selben Tag also, an dem man die Leiche Lapas entdeckt hatte, traten das Streikkomitee und die baltischen Offiziere zu einer Besprechung zusammen. Über diese Zusammenkunft gibt es mehrere Zeugnisse, die im wesentlichen übereinstimmen; eines stammt von einem schwedischen Presseoffizier, der an der Besprechung teilnehmen durfte.
    Der Raum war ziemlich groß, sechs mal acht Meter; früher war hier ein Kantinenraum gewesen. Dort versammelten sich sechzehn der baltischen Offiziere, die noch gehen konnten oder wollten: dies war der siebte Tag des Hungerstreiks, und einige Offiziere blieben im Bett. Die Anwesenden setzten sich; Eichfuss präsidierte. Nachdem man die Türen

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