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Die Ausgesetzten

Die Ausgesetzten

Titel: Die Ausgesetzten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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sonst in der Nähe war. Als die Marker auf die Lichtung traten und
     sich im hellen Tageslicht ein wenig schärfer abzeichneten, begann Katherine zu kichern.
    »Äh, Jonas, ich glaube nicht, dass einer von denen Andreas Marker ist«, flüsterte sie.
    »Warum nicht?«, fragte er zurück. »Ach so.«
    Die Marker waren Jungen. Ziemlich spärlich bekleideteJungen. Im ersten Moment hätte Jonas sie fast für nackt gehalten, doch dann erkannte er, dass ihnen quadratische Lappen aus
     Stoff oder Tierhaut von der Taille herabhingen.
    Katherine hörte gar nicht mehr auf zu kichern.
    »Lass es gut sein«, murmelte Jonas. »Du hast auch schon Jungs in Badehosen gesehen. Und diese ›Kluft‹ verdeckt genauso viel
     Haut. Das sind Indianer. Äh, amerikanische Ureinwohner.«
    Aus irgendeiner längst vergangenen Unterrichtsstunde erinnerte sich Jonas an den Namen des Kleidungsstücks, das die beiden
     Jungen trugen: Lendenschurz. Hätten sie sich nicht was weniger Peinliches einfallen lassen können?, dachte er.
    »Das sind keine Indianer«, flüsterte Andrea, die zum ersten Mal den Mund aufmachte, seit sie über dem Croatoan-Pfahl zusammengebrochen
     war. »Seht euch nur ihre Haare an. Da stimmt etwas nicht.«
    Jonas kniff die Augen zusammen. Es war nicht einfach, die Beschaffenheit der Haare zweier Jungen zu überprüfen, die mehr oder
     weniger durchsichtig waren, selbst wenn sie ein kleines bisschen leuchteten. Trotzdem konnte er halbwegs nachvollziehen, was
     Andrea meinte. Keiner der beiden Marker trug lange geflochtene Zöpfe oder hatte glattes Haar, das über den Rücken herabfiel,
     einen Irokesenschnitt oder einen anderweitig geschorenen Skalp. Jedenfalls keinen der Haarschnitte, mit denen Jonas bei amerikanischen
     Ureinwohnern aus grauer Vorzeit gerechnet hätte. Einer der Markerjungen hatte längeres Haar, doch es war eindeutig gelockt.
     DieHaare des anderen waren extrem kurz geschoren und drahtig.
    »Vielleicht gehören sie zu einem Stamm, der es nie in unser Geschichtsbuch geschafft hat«, meinte Jonas achselzuckend.
    »Der Knabe stammt aus Afrika«, sagte Andrea und zeigte auf den Marker mit den kurz geschorenen Haaren. »Oder jedenfalls seine
     Vorfahren.«
    Es klang, als fände sie das spannend.
    »Warum sollte ein afrikanischer Junge sich für einen Indianer ausgeben?«, fragte Jonas.
    »Hallo?«, erwiderte Katherine. »Vielleicht weil er kein Sklave mehr sein will?«
    Jonas wurde rot, weil er das fast vergessen hatte. Er hasste es, wenn in der Schule über Sklaverei gesprochen wurde. Seine
     Lehrer nahmen dann jedes Mal diesen ganz besonderen Tonfall an, als versuchten sie angestrengt niemanden zu verletzen. Und
     viele der schwarzen Kinder in seiner Klasse starrten einfach nur auf ihre Tische, als wünschten sie sich weit, weit weg.
    »Nein«, sagte Andrea, deren Stimme erregt anschwoll. »Ich wette, das sind Schauspieler, auch wenn sie nicht sehr realistisch
     sind. Das hier ist bloß ein Filmset und wir sind immer noch im einundzwanzigsten Jahrhundert und überhaupt nicht weit in die
     Vergangenheit gereist und   …«
    Sie verstummte, weil die beiden Marker plötzlich ihre Bogen hoben und Pfeile aus den Köchern zogen, die sie auf dem Rücken
     trugen, wie Jonas erst jetzt bemerkte.
    Markerbogen und -pfeile?, überlegte er. Na klar, aufder letzten Zeitreise habe ich ja auch eine Markerstreitaxt gesehen.
    Es war keine schöne Erinnerung. Jonas wollte lieber nicht darüber nachdenken, auf was diese beiden Markerjungen schossen.
     Trotzdem konnte er nicht anders, als die Pfeile zu verfolgen, die im hohen Bogen durch die Luft sausten.
    Zuerst schien es, als seien sie nutzlos zu Boden gefallen. Zwischen den Bäumen raschelte etwas, doch es war nur ein Reh, das
     ziellos davontrottete. Dann sah Jonas, was es hinter sich zurückgelassen hatte: eine Markerversion seiner selbst, durchbohrt
     von den Pfeilen der Markerjungen. Das Leuchten des Markerrehs verblasste, es wurde schwächer und schwächer.
    O nein, dachte Jonas entsetzt. HK hat uns erzählt, dass die Marker von Lebewesen aufhören zu leuchten, wenn sie sterben.
    Die beiden Markerindianer – oder Marker-Möchtegernindianer – teilten Jonas’ Entsetzen nicht. Sie hüpften herum und jubelten
     (auch wenn Jonas nicht das Geringste hören konnte). Dann rannten sie zu dem Markerreh und   … fielen darüber her. Anders konnte man es nicht nennen. Jonas war mehr als froh, dass er nur die geisterhafte Markerversion
     davon sah, sonst hätte er sich

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