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Die Ausgesetzten

Die Ausgesetzten

Titel: Die Ausgesetzten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Tonfall anzunehmen.
    »Das hört sich nicht an, als würde er immer noch das Reh anbellen«, stellte er fest.
    »Nein. Glaubst du, er ist verletzt?«, fragte Andrea zurück. »Oder in eine Grube gefallen, die ein Jäger zurückgelassen hat,
     oder, o Gott, sie werden doch auf Roanoke keine Fallen aufgestellt haben?«
    Sie wirbelte herum und rannte in Richtung des Gebells. Jonas und Katherine folgten ihr.
    Sie liefen jetzt nicht mehr auf den Wald zu, sondern kamen in ein Gebiet mit hohem Gras, das ihnen ins Gesicht schlug und
     in die Arme schnitt. Jonas wünschte, er hätte trotz der Hitze sein Sweatshirt angelassen, einfach um seine Haut zu schützen.
     Doch er hatte keine Zeit, stehen zu bleiben und es sich wieder anzuziehen.
    Dares Gebell veränderte sich; es wurde schriller, ängstlicher.
    »Da stimmt was nicht!«, rief Andrea Jonas und Katherine zu. »Das höre ich. Wir müssen   …«
    Sie sprach nicht weiter, sondern lief einfach schneller.
    »Warte, Andrea! Du weißt doch gar nicht, was dort draußen ist!«, rief Jonas ihr nach. Er hatte keine Ahnung, welche Gefahren
     es überhaupt zu befürchten galt. Den mysteriösen Unbekannten, der ihnen Andrea gänzlich wegschnappen könnte? Den Feind, der
     die Kolonie von Roanoke und das Indianerdorf zerstört hatte? Irgendeine andere Gefahr, in die der Unbekannte Andrea schicken
     wollte? Piraten, Banditen? Diebe, Mörder   …
    Sich die Gefahren aufzulisten spornte Jonas an. Doch je schneller er lief, desto schneller peitschte ihm auch das Gras ins
     Gesicht, gegen die nackten Arme und die Fußknöchel. Er war froh, als es endlich spärlicher wurde, auch wenn er nun durch Sand
     rennen musste, der ihm in die Schuhe drang und jeden Schritt doppelt mühsam machte.
    Dann bog er um eine Biegung und stellte fest, dass Andrea Dare eingeholt hatte.
    Der Hund saß nicht in einem Fangeisen fest. Er wurde auch nicht von bösen Zeitreisenden oder Piraten verschleppt. Stattdessen
     kauerte er an einem schmalen Strandstreifen und bellte wütend etwas an, das draußen auf dem Wasser trieb.
    »Was ist los, mein Junge?«, fragte ihn Andrea. »Was siehst du da?«
    Noch im Laufen schirmte Jonas die Augen mit der Hand gegen das grelle Sonnenlicht ab, um in die Brandung hinauszuschauen.
     Der Wellengang war so heftig, dass es fast unmöglich war, im nächsten Augenblick noch zu wissen, welchen Teil des Wassers
     er bereits abgesucht hatte und welchen noch nicht. Ein dunkler Umrisstanzte draußen auf den Wellen – oder war es nur ein Schatten?
    Jonas kniff die Augen zusammen und rannte zum Ufer. Allmählich begann sich der dunkle Umriss abzuzeichnen.
    »Es ist ein umgekipptes Boot«, sagte er. »Mächtig zertrümmert, wie von einem Schiffsunglück.« Der Begriff tat ihm auf der
     Stelle leid. Schiffsunglück, Autounglück – vielleicht bemerkte Andrea die Ähnlichkeit nicht? »Ist wahrscheinlich schon Jahre
     her«, fügte er beruhigend hinzu. »Manchmal brauchen Trümmerteile ewig, bis sie an Land gespült werden.«
    »Es war vor einer Minute noch aufrecht, Jonas«, sagte Andrea. Sie rannte zum Saum des Wassers, riss sich den rechten Schuh
     vom Fuß, dann den linken. Und schließlich rollte sie den Saum ihrer Shorts hoch.
    »Was machst du da?«, fragte Jonas.
    Andrea nahm das Sweatshirt ab, das sie sich um die Hüfte gebunden hatte. Es fiel in den Sand und einer der Ärmel hing im Wasser.
    »Da war jemand in dem Boot!«, rief sie. »Ich hab ihn gesehen!«

Dreizehn
    Jonas blieb kaum Zeit zum Nachdenken, ehe sich Andrea ins Wasser stürzte.
    »Nein!«, schrie er ihr nach. »Das ist zu gefährlich!«
    Er wusste, dass es andere Einwände gab, die er ihr hinterherrufen sollte – etwa dass sie die Zeit nicht verändern durften
     oder dass es womöglich eine Falle oder ein Trick des mysteriösen Unbekannten war. Doch die Wellen schleuderten sie so heftig
     herum, dass er vor Angst keine zwei Worte herausbrachte. Schon war sie unter Wasser, dann wieder an der Oberfläche, unter
     Wasser und wieder oben   …
    Neben ihm bellte Dare nun ungestüm Andrea hinterher. Der Hund steckte eine Pfote ins Wasser, wurde von einer riesigen Welle
     erwischt und wich winselnd zurück.
    »Du bist mir eine schöne Hilfe«, murmelte Jonas. Er ließ das Sweatshirt fallen, das er in der Hand hielt, formte die Hände
     vor dem Mund zu einem Trichter und schrie: »Andrea! Komm zurück!«
    Diese wandte sich kurz um – vielleicht, um etwas zurückzurufen   –, ehe sie von einer Welle seitlich umgeworfen

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