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Die Ausgesetzten

Die Ausgesetzten

Titel: Die Ausgesetzten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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wurde und mit einem Überschlag unterging.
    Sie tauchte nicht wieder auf.
    »Andrea!«, schrie Jonas.
    Er warf sich in die Fluten und hielt verzweifelt auf die Stelle zu, an der Andrea verschwunden war. Seine Schuhe und Kleider
     sogen sich in Sekundenschnelle voll Wasser und zogen ihn hinab. Aber ihm blieb keine Zeit, nicht einmal, um sich die Turnschuhe
     von den Füßen zu reißen. Beharrlich drängte er vorwärts, auch wenn auf dem Wasser vor ihm nun alles gleich aussah. Er wusste
     nicht mehr, wo Andrea verschwunden war. Er fasste hinab und seine Finger streiften etwas Weiches   – Seetang? Oder Andreas Haar?
    Jonas trat kräftig mit den Beinen, reckte den Kopf, so weit es ging, aus dem Wasser und versuchte tief Luft zu holen, ehe
     er hinabtauchte, um nach Andrea zu suchen.
    Der Wind schien seinen Namen zu rufen.
    »Jonas! Jonas!«
    Er sah nach rechts. Es war Andrea.
    »Schwimm   … parallel   … Ufer!«, rief sie.
    Ach ja. Das kannte Jonas. So sollte man sich verhalten, wenn man in eine Unterströmung geriet.
    Er war sich nicht sicher, ob das, was an ihm zerrte, wirklich eine Unterströmung war oder einfach nur das Gewicht seiner schweren,
     vollgesogenen Kleidung. Trotzdem schwamm er in einer Art gemäßigtem Hundepaddelstil auf Andrea zu.
    »Es kommt näher!«, rief sie.
    Jonas brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie das Boot meinte. Es kam nicht einfach nur näher, es ragte turmhoch
     über ihnen auf. Je nachdem, wie dieWelle brach, konnte es jeden Augenblick auf sie niederstürzen.
    »Pass auf!«, schrie Jonas im gleichen Augenblick, als Andrea »Der Mann!« rief.
    Jonas drehte sich kurz zum Boot um und gewahrte für einen flüchtigen Moment die Hand eines Mannes, die sich an eine der zersplitterten
     Planken klammerte.
    »Hier lang«, rief Jonas und bekam eine Ladung Salzwasser ins Gesicht. Er hatte das Gefühl, als wäre ihm ein ganzer Eimer voll
     in den offenen Mund gelaufen. Er spuckte und hustete, schaffte es aber dennoch, Andrea am Arm zu packen und sie in Richtung
     Ufer zu schubsen. Dabei wurde er selbst zurückgeworfen und war kaum in der Lage, den Kopf über Wasser zu halten.
    Die Wellen türmten sich immer höher und schließlich schleuderten sie das Boot herab.
    Es landete nicht auf Jonas, sondern auf einer Felsformation, von der er nicht einmal etwas geahnt hatte. Das Boot zerschellte
     auf der Stelle und barst in einem Schauer aus zerbrochenen Holzplanken. Jetzt musste sich Jonas nicht mehr nur vor einem einzelnen
     Boot in Acht nehmen, sondern vor Dutzenden scharfkantiger Trümmerteile, die die Wellen um ihn herum pausenlos hin- und herwarfen.
    Und Andrea schwamm geradewegs in die Trümmer hinein.
    »Nein! Nicht!«, brüllte Jonas.
    »Aber er ist hier!«, schrie Andrea zurück.
    Sie hatte den Mann erreicht, der mitten in den Trümmern trieb. Es sah aus, als versuchte er zu schwimmen,doch dann erkannte Jonas, dass der Schein trog. Seine Arme und Beine bewegten sich einfach nur in der Strömung.
    »Hilf   … umdrehen!«, rief Andrea.
    Mit leichter Verspätung fiel Jonas ein, dass er eigentlich wissen sollte, was in einer solchen Situation zu tun war. Er hatte
     im letzten Sommer im Schwimmbad einen Kurs für angehende Rettungsschwimmer besucht. Allerdings war es im Schwimmbecken immer
     ruhig und sicher gewesen. Sie waren einfach nur nacheinander ins friedliche blaue Wasser gesprungen, um einen vermeintlich
     in Gefahr schwebenden Übungsleiter zu »retten«, der wild mit den Armen schlug. Von gefährlichen Trümmerteilen, wogenden Wellen
     und einem echten bewusstlosen Opfer war keine Rede gewesen.
    Jonas schüttelte den Kopf und versuchte sich zu konzentrieren.
    »Hmpf   … Achsel!«, schrie er Andrea zu. »Pack ihn unter der Achsel!«
    Entweder konnte Andrea ihn nicht hören oder sie verstand ihn nicht. Jonas griff selbst nach dem Mann, zog ihn am Arm zu sich
     heran und drehte ihn mühsam um. Schließlich schob er ihm den Arm über die Brust und sie schaukelten gemeinsam in den Wellen.
     Seine Übungsleiter hätten vermutlich allesamt die Stirn gerunzelt und Jonas aufgezählt, was er alles falsch machte. Er wusste,
     dass er sich nicht an den Ertrinkenden klammern sollte, als wollte er sich den Auftrieb des Opfers zunutze machen, um sich
     selbst über Wasser zu halten. Außerdem gab es da etwas in Zusammenhang mit demSäubern blockierter Luftwege und dem Vergewissern, ob Mund-zu-Mund-Beatmung oder Wiederbelebungsversuche notwendig waren,
     an das er sich eigentlich

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