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Die Ausgesetzten

Die Ausgesetzten

Titel: Die Ausgesetzten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Leben.
    »Seht mal«, sagte Andrea leise. »Man sieht noch, dass sie da drüben ein Maisfeld hatten.« Sie deutete auf ein freigelegtes
     rechteckiges Stück Land gleich hinter der letzten verfallenen Hütte. »Wir werden etwas zu essen brauchen.«
    Sie fügte nicht hinzu: Wenn wir hier länger festsitzen. Aber Jonas konnte den beiden ansehen, dass sie alle das Gleiche dachten.
    Er ging hin und trat gegen einen umgefallenen, vertrockneten Stängel. Dare schnüffelte neben ihm herum und schob einige leere
     Hüllblätter zur Seite. Das hier wirkte eher wie der Geist eines Maisfeldes. Jonas vermochte sich nicht vorzustellen, wann
     es das letzte Mal bestellt worden sein musste. Vor Jahren? Jahrzehnten? Was immer hier an Essbarem gewachsen war, hatten Vögel,
     Mäuse oder auch Menschen vor langer, langer Zeit davongetragen.
    Jonas’ Magen rumorte, doch das lag weniger am Hunger als an seiner Furcht und Besorgnis. Im Moment jedenfalls.
    »Vielleicht haben die Markerjungen etwas dabei, das wir essen können, wenn wir sie einholen«, sagte er zuversichtlicher, als
     er sich fühlte. Es war nicht sehr wahrscheinlich, dass die Marker etwas anderes als Markeressen bei sich haben würden.
    Für alle Fälle sah er in einigen der besser erhaltenen Hütten nach. In ihrem Innern war es so duster, dass die Markerjungen
     sich deutlich abzeichnen würden, falls sie dort waren.
    Doch die geschlossenen Räume machten Jonas nervös.Es gefiel ihm nicht, inmitten dieser Trostlosigkeit ins Dunkel zu spähen.
    Die erste Hütte war leer. Die zweite ebenso. Und auch die dritte.
    In der vierten Hütte stürzte etwas auf ihn zu.

Zwölf
    »AHH!« Jonas sprang zurück und versuchte hastig auszuweichen. Flüchtig gewahrte er Hufe und glühende Augen. Was ist das –
     ein Dämon?, fragte er sich. Wo sind wir hier?
    Mit wütendem Gebell setzte Dare der Kreatur in den Wald nach.
    Jonas konnte erst erkennen, was es war, als sich sein wild pochendes Herz beruhigte, er sich umdrehte und den in der Hütte
     verbliebenen Marker entdeckte: Es war nur ein weiteres Reh.
    Nein, es kann auch dasselbe Reh sein, das die Markerjungen getötet haben, weil es in Wirklichkeit noch am Leben ist   … wie viele Markerversionen kann ein und dasselbe Reh eigentlich haben? Jonas stellte sich vor, wie sich das Reh, sobald es
     mit einer neuen Störung der Zeit in Berührung kam, zu Dutzenden von Markerrehen vervielfachte. Doch dann wurde ihm klar, dass
     ihm die Panik immer noch den Verstand vernebelte. Jedes Tier kann nur einen Marker haben. Weil es nur eine ursprüngliche Zeit
     gibt und nur einen vorgesehenen Verlauf.
    Auch wenn es albern war, beruhigte es ihn zu wissen,dass es nicht dasselbe Reh war, das die Markerjungen getötet hatten. Fast zärtlich betrachtete er die Markerversion des Rehs,
     das er aufgeschreckt hatte. Das Markertier hob nicht einmal den Kopf, sondern kaute friedlich weiter an   … was war das? Eine halb verfaulte Melone?
    Dann bemerkte Jonas den Tumult hinter sich.
    »Dare, nein! Komm zurück!«, rief Andrea dem Hund nach.
    Katherine konnte sich vor Lachen kaum noch auf den Beinen halten.
    »Oh, Mann! Du hättest dein Gesicht sehen sollen! Du bist bleich wie ein Geist. Man könnte dich selbst für einen Marker halten!«,
     quietschte sie.
    »Ha, ha«, murmelte Jonas. Er lehnte sich matt an die Seitenwand der Hütte, die sich gefährlich nach innen bog. Jonas befand,
     dass er allein stehen konnte, und richtete sich auf.
    »Dare!«, schrie Andrea und ihre Stimme hallte durch die Bäume. »Dare!«
    »Psst!«, sagte Jonas. Ihm dröhnten die Ohren und er glaubte nicht, dass er dafür noch die Zeitkrankheit verantwortlich machen
     konnte. Das Geschrei und das Gelächter, der Hund und das Reh, die durch den Wald stürmten – das alles war viel zu viel Lärm,
     viel zu viel weitere Veränderung an diesem stillen, verlassenen Ort voller Marker. »Seid still! Jemand wird uns hören! Am
     Ende ruinieren wir wirklich noch die Zeit!«
    Wie viel Veränderung war zu viel? An welchem Punktwürden die Marker so überhandnehmen, dass sich nichts mehr reparieren ließ?
    Katherines Gelächter verebbte zu einem Prusten und gelegentlichem Kichern. Andrea rief noch einmal »Dare!«, dann drehte sie
     sich zu Jonas um.
    »Ehrlich, Jonas«, sagte sie nüchtern. »Ich glaube nicht, dass außer uns und den Markern noch jemand auf der Insel ist. Spürst
     du das denn nicht?«
    Es könnte sich jemand verstecken, wollte er erwidern. Dein mysteriöser Unbekannter

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