Die Ausgesetzten
erinnern müsste. Doch im Moment hatte er mehr als genug damit zu tun, selbst zu atmen beziehungsweise
Luft einzuatmen und kein Salzwasser. Er konnte beides schon kaum noch auseinanderhalten.
»Vielleicht-können-wir-da-an-Land«, spotzte Andrea zwischen Wellen und Atemzügen.
Jonas blickte auf den Mann hinab, den er in den Armen hielt. Seine Brust hob und senkte sich, aber es war nicht zu erkennen,
ob er selbstständig atmete oder ob sich sein Körper lediglich mit der Brandung bewegte, genau wie er selbst. Schleppgriff,
ermahnte sich Jonas. Schwimm einfach wie vorgeschrieben in Seitenlage und denk an nichts anderes.
Er schaffte nur drei Armzüge, als ihm etwas auf den Kopf schlug, etwas, das aus der Luft kam, nicht aus dem Wasser.
Das geht wirklich zu weit, wollte Jonas schimpfen. Es kann doch nicht
alles
gefährlich sein!
Er wandte den Kopf und stellte fest, dass ein riesiger Ast ins Wasser gefallen war.
»Halt dich fest und klettere daran heraus«, schrie Katherine. »Nicht schwimmen! Klettern!«
Ach so …
Katherine hatte das andere Ende des Asts gepackt. Sie musste ihn ins Wasser geworfen haben.
Hatte sie etwa versucht ihn zu schlagen?
Nein, begriff Jonas dann. Sie wollte ihm helfen. DerAst bot einen wunderbaren Halt, während das Wasser sich alle Mühe zu geben schien, ihn und den bewusstlosen Mann gegen die
Felsen zu schleudern. Wenn er sich am Ast festhielt, schaffte er es vielleicht, sich aufzurichten. Er klemmte einen Fuß zwischen
zwei Steine und rief Andrea zu: »Hilf mir, den Mann an Land zu ziehen!«
Auch sie packte den Ast. Zu zweit schafften sie es, den Mann ans Ufer zu zerren. Als sie schließlich trockenen Boden erreichten,
ließ Katherine den Ast los und half den beiden den Mann aus dem Wasser zu bugsieren. Völlig erschöpft ließ sich Jonas ins
raue Gras fallen. Andrea dagegen beugte sich über den Bewusstlosen, legte ihm das Ohr auf die Brust und hielt ihm eine Hand
unter die Nase.
»Er lebt!«, rief sie. »Er atmet!«
Jonas rührte sich nicht. Unter ihm schien sich alles zu drehen. Und über ihm jagten die Wolken mit erstaunlicher Geschwindigkeit
über den Himmel. Die kontrastierenden Bewegungen – der sich drehende Boden und die jagenden Wolken – verursachten ihm Übelkeit,
also machte er die Augen zu. Aber das fühlte sich an, als wäre er wieder im Wasser und werde von den Wellen hin- und hergeschleudert.
»Ihr habt ihm das Leben gerettet!«, sagte Katherine bewundernd aus der gleichen Richtung, aus der auch Andreas Stimme kam.
»Du und Jonas. Ohne euch wäre der Mann ertrunken.«
… wäre der Mann ertrunken …
… wäre der Mann ertrunken …
Jonas zuckte zusammen, als er daran dachte, dass er noch kurz zuvor am Ufer gestanden und sich gefragt hatte, ob das gekenterte
Boot vielleicht eine Falle oder ein Trick des Mannes war, der Andrea überredet hatte, ihre eigene Zeitreise zu sabotieren.
Er hatte Angst gehabt, Andrea könnte ertrinken. Aber das hier war etwas anderes. Er und Andrea hatten soeben vorsätzlich den
Lauf der Zeit verändert. Katherine hatte ein schlechtes Gewissen gehabt, weil ihretwegen ein herabfallender Kiefernzapfen
an der falschen Stelle gelandet war. Und jetzt hatten sie einem Mann das Leben gerettet. Was war, wenn dieser Mann anfangen
würde, die Geschichte noch weiter zu verändern? Vielleicht bekam er Kinder, die er nie hatte bekommen sollen, oder er machte
sich auf und tötete jemanden, der eigentlich nicht sterben sollte; er könnte alles Mögliche tun.
Jonas war übel, aber er konnte nicht sagen, was ihm mehr zusetzte: der Gedanke, dazustehen und den Mann ertrinken zu lassen,
oder der Gedanke, dass er vielleicht genau das hätte tun sollen?
Das Ganze war eine Falle, dachte er. Ein abgekartetes Spiel.
Als er im Jahr 1483 gewesen war, hatte Jonas HK vorgeworfen, Chips und Alex’ Leben mehrfach aufs Spiel gesetzt zu haben. Aber
selbst HK hätte Jonas und Katherine nicht in eine solche Zwickmühle gebracht.
»Unfair«, murmelte Jonas. »Das ist einfach unfair.«
Er hatte keine Ahnung, wie es vonstattengegangen war. Trotzdem war er überzeugt, dass der mysteriöse Unbekannte fest damit
gerechnet hatte, dass er und Andreasich genau in dem Moment am Strand befinden würden, als das Boot kenterte. Er hatte damit gerechnet, dass sie eine Entscheidung
würden treffen müssen.
Wusste er, wofür wir uns entscheiden würden?, fragte sich Jonas. Weiß er, welche Folgen es haben wird, dass der Mann
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