Die Ausgesetzten
Anweisungen,
wie die Truhe zu öffnen war. Der Junge, der sie gefunden hatte, hockte daneben und hatte die Hände auf den Riegel gelegt.
»Wir können genauso gut nachsehen, was drinnen ist«, sagte Jonas, der sich bemühte, gelassen zu klingen, als sei er es gewöhnt,
dass Halbmarker geisterhafte Anweisungen gaben.
Er legte die Hände auf die gleiche Stelle wie der Markerjunge und ahmte jede seiner Bewegungen nach. Als der Junge schließlich
den Deckel anhob, musste Jonasein bisschen fester drücken. Er hoffte, dass keines der Mädchen bemerkte, wie sehr er sich dabei anstrengte.
»Was ist drinnen?«, fragte Katherine. »Andreas Familienschatz?«
Der Markerjunge holte bereits den ersten Gegenstand heraus. Jonas sah ihn an, stutzte und spähte selbst in die offene Truhe.
»Malpinsel?«, fragte er ungläubig. »Wer schleppt denn Malutensilien um die halbe Welt?«
Fünfundzwanzig
»John White hat das getan«, sagte Andrea leise, aber voller Stolz. »Er war – ist – ein Künstler. Das war seine Aufgabe auf
seinen Reisen nach Roanoke. Er sollte Ansichten der hiesigen Bewohner, Pflanzen und Tiere zeichnen. Um mehr Leute zu bewegen
hierherzukommen. Und einfach, um zu zeigen, wie es hier aussieht.«
»Lass mich raten«, sagte Katherine. »Kameras waren noch nicht erfunden, stimmt’s?«
Andrea schüttelte den Kopf.
»John White wird heute für seine sympathische Art der Darstellung amerikanischer Ureinwohner allgemein gelobt«, sagte sie,
als zitiere sie aus einem Buch. »Es ist ein Drama, dass nur ein kleiner Teil seines Werkes erhalten geblieben ist.«
Jonas schüttelte den Kopf. Malutensilien! Was war aus seiner Absicht geworden, nach England zurückzukehren, um die Dinge zu
besorgen, die die Kolonisten brauchten? Wie … Nahrung? Und wer hatte je davon gehört, dass ein Künstler auch Gouverneur war? Hatten es die Engländer darauf
angelegt
, ihre Kolonie scheitern zu lassen?
Die Markerjungen zogen weitere Dinge aus der Truhe,also folgte Jonas ihrem Beispiel. Schreibkiele. Kleine Gefäße, die Tinte und Farbe enthalten haben mussten. Blöcke mit unbenutztem
Papier. Blöcke voller Bilder.
Das Papier und die Gefäße waren in Tücher eingeschlagen – nein, es war Kleidung: ein Hemd wie jenes, das John White trug,
und zwei Kleider, über die die Markerjungen zu staunen schienen.
»Ich wette, die hat er für Eleanor mitgebracht«, murmelte Andrea.
Die Markerjungen hielten sich die Kleider vor die Brust und lachten wie die Footballspieler in der Schule, die sich zu Halloween
als Cheerleader verkleidet hatten.
»Kriegt euch ein!«, murmelte Katherine.
John Whites Marker schien etwas Ähnliches gesagt zu haben, denn die Markerjungen legten die Kleider hastig in die Truhe zurück.
Auf Anweisung des alten Mannes holten sie einen Malblock heraus und begannen die Bilder durchzublättern. John White winkte
mit der Hand, offensichtlich sagte er den Jungen: Weiter, weiter, das ist nicht das Bild, das ich euch zeigen will. Jonas
holte das echte Gegenstück des Malblocks aus der Truhe, um wie die Markerjungen darin zu blättern.
Auf der ersten Seite befand sich die Ansicht eines indianischen Dorfes mit Hütten aus gebogenen Ästen. Jonas sah auf das Bild,
dann auf die desolaten Hütten um sich herum.
»Glaubt ihr … das ist doch eine Zeichnung von dem Dorf, in dem wir gerade sind, nicht?«, fragte er und hielt das Blatt so, dass Andrea
und Katherine es auch sehen konnten.
»Ja«, flüsterte Andrea. »Nur … dass alles in gutem Zustand ist. Und es sind Leute da.«
Tatsächlich wimmelte es in der Zeichnung nur so von Leuten. Indianer, die tanzten, kochten, lachten und prächtigen Mais ernteten … Sie schienen förmlich vom Blatt zu springen, so lebendig wirkten sie. Ihren Gesichtern war anzusehen, wie glücklich sie
waren, wie stolz auf ihr blühendes Dorf.
Wohin waren sie gegangen? Was war mit ihnen geschehen?
Die Markerjungen hielten John White den Markerblock hin und deuteten auf ein bestimmtes Bild. Jonas konnte förmlich hören,
wie sie sagten: »Meinen Sie das hier?«
John White nickte heftig und in seinen Augen glitzerten Tränen.
Jonas sah zu dem Bild hinüber, das die Markerjungen hochhielten, und blätterte dann schnell in seinem Block, bis er die gleiche
Zeichnung gefunden hatte.
Es war eine Frau mit einem winzigen Baby, das fest in eine Decke gewickelt war. Das Haar der Frau war streng aus dem Gesicht
frisiert, doch ihre Augen leuchteten vor
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