Die außergewoehnlichen Geheimnisse von April, May & June
aushöhlen und mit dem Auto unter ihm durchfahren können, wie bei diesen Riesenbäumen im Sequoia Nationalpark.
Keine Spur von »Entschuldigung« oder »Tut mir leid« oder »Sorry, dass ich der unhöflichste Mensch der Welt bin«. Kein Wort. Ich wusste nicht mal seinen Namen.
Das soll jetzt nicht heiÃen, dass er mich irgendwie interessiert hätte. Ich hatte ihn nur schon mal vor diesem Spind gesehen.
Aber egal.
Da waren wir also und erledigten unseren täglichen Tanz vor dem Spind, und auf einmal sah ich etwas. Zuerst hielt ich es für eine Erinnerung, doch dann begriff ich, was los war. Ich holte tief Luft und klammerte mich an meiner Spindtür fest.
Von dem, was sich vor mir abspielte, nahm ich nichts wahr. Ich sah nicht mal Mammutbaums blöden Ellbogen dicht neben meinem Gesicht. Es war, als hätte jemand eine Kinoleinwand vor mir aufgestellt und auf Play gedrückt.
Ich sah Menschen rennen und sich in Türöffnungen ducken. Manche liefen auch nach drauÃen, diese Deppen. Direkt unter mir sah ich den Boden schaukeln, er kam auf mich zu wie eine Welle. Dann fiel eine Lampe, und zwar die Leuchtstofflampe direkt über meinem Kopf. Sie kam direkt auf Julian und mich zu.
Woher wusste ich denn plötzlich, wie er heiÃt?
»⦠aus dem Weg.«
Ich schüttelte den Kopf und sah auf. »Was?«
»Geh mal aus dem Weg«, sagte der Typ â Julian â und deutete auf die Stelle, wo sich meine Hand am Boden seines Spinds festklammerte. Er konnte die Tür nicht zumachen, ohne mir dabei die Finger einzuklemmen.
»Oh«, machte ich, aber aus irgendeinem Grund hielt ich mich weiter fest, was sich als ziemlich gute Sache herausstellte, denn der erste Stoà fühlte sich an, als hätte jemand einen Sattelschlepper gegen die Schulhauswand gesetzt.
Es gab einen kurzen Aufruhr und dann rief jemand: »Erdbeben!« und ich sah alles noch einmal ablaufen, Leute in Türöffnungen und andere, die ins Freie hasteten. Genau wie in meiner â¦
In meiner was? In meiner Vision? In meinem Tagtraum? Wie zum Henker sollte ich das bloà nennen?
Der FuÃboden hob sich wie eine kleine Welle und wogte auf und ab, als das Erdbeben uns erschütterte. Ich stand immer noch vor dem Spind und hielt mich an dessen Stahlrahmen fest, während alle anderen um uns herum panisch versuchten, sich in Sicherheit zu bringen.
Und da hörte ich etwas krachen und sah Funken.
Ich stieà Julian so heftig weg, dass er rückwärtstaumelte. »Was zum Teufel â¦?«, rief er, aber ich musste der herunterfallenden Lampe ausweichen. Dann hörte ich ihn schreien: »Oh Mist!« Ãberall splitterte Glas und im Korridor wurde es dunkel.
Das Erdbeben, erfuhr ich, dauerte nur etwa zehn Sekunden und lag bei 5,2 auf der Richter-Skala, was für südkalifornische Verhältnisse nicht wirklich dramatisch ist. Die Lampe war nur deshalb runtergekommen, weil sie nicht ordentlich befestigt war. Ich sah Pressekonferenzen in den Nachrichten und Schulvertreter, die den Schaden begutachteten, obwohl nichts dergleichen schon stattgefunden hatte. Ich wusste, dass der Chemielehrer an der Hand mit drei Stichen genäht werden musste, weil er sich an einem zerbrochenen Reagenzglas geschnitten hatte.
Die Visionen kamen so schnell, dass ich fast das Gefühl hatte, das Erdbeben sei noch im Gange, und als ich endlich wieder normal sehen konnte, hatte ich immer noch meine Hand an der Unterkante von Julians Fach.
Manchmal kann ich den Spind immer noch fühlen, so fest habe ich mich daran geklammert.
»Boah«, sagte jemand zu mir. »Irgendwie siehst du blass aus.«
»Ja«, antwortete ich, obwohl ich keinen Schimmer hatte, wie ich aussah. Von der anderen Seite des Korridors her starrte Julian mich an, doch ich hatte keine Zeit zum Zurückstarren, weil der stellvertretende Schulleiter â der endlich mal Gelegenheit hatte, die Trillerpfeife auszuprobieren, die er ständig um den Hals baumeln hatte â gerade anfing, uns herumzuscheuchen. »Fieeeep! Fieeeep!« Das Geräusch war schlimmer als das Erdbeben. Alle wirkten entweder verstört oder wie kurz vorm Durchdrehen oder völlig aus dem Häuschen. Und dann erspähte ich Avery, das schwarzhaarige Mädchen, das May am Tag zuvor fast überfahren hätte. Sie war definitiv am Durchdrehen, was man ihr nun wirklich nicht verübeln konnte. Erst beinahe von ânem Auto umgefahren
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