Die außergewoehnlichen Geheimnisse von April, May & June
diesen eigenartigen Ansturm aus Angst und Adrenalin, wie wenn man in der Achterbahn nach ganz oben fährt und einem urplötzlich der Gedanke durch den Kopf schieÃt, dass es vielleicht doch nicht so klug gewesen war, sich in dieses klapprige Wägelchen zu setzen und damit die Gleise runterzustürzen, ohne sich vorher das Protokoll der letzten Sicherheitsinspektion angesehen oder sich wenigstens einen Helm auf den Kopf gesetzt zu haben.
Allerdings dachte ich mir da noch nichts dabei. »Das sind bloà die Nerven«, sagte ich mir und beobachtete den Nebel, wie er sich allmählich auflöste. »Nichts weiter. Bloà die Nerven.« Das sagte ich mir so oft, bis ich es tatsächlich glaubte, obwohl es gar keinen Grund gab, nervös zu sein. Und dann schepperte Junes Wecker los und ich hörte, wie May verschlafen brüllte, dass sie ihn gefälligst abstellen sollte, und der Tag begann, als ob schon alles und gleichzeitig nichts gewesen wäre.
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»Ich werde beliebt sein«, verkündete June an diesem Morgen auf dem Weg zur Schule. Sie saà auf dem Rücksitz von Moms altem Minivan, alias mein neues Auto. June lehnte es strikt ab, im »Mama-Mobil« auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen, wenn wir zur Schule fuhren. May hingegen meinte, dass es ihr piepegal sei, wo sie saÃ, denn wir waren ja auf dem Weg in die Schule, und davon, dass sie woanders saÃ, wurde es auch nicht besser. (Die geborene Optimistin ist sie ja nicht gerade, meine Schwester May.)
May und ich drehten uns nicht mal zu June um. »Das ist ja ganz groÃartig«, brummte ich nur und hielt im Rückspiegel Ausschau nach eventuell auftauchenden Polizisten. Ich bin nämlich ausgesprochen stolz auf mein lupenreines Fahrerkonto und habe nicht vor, es mir zu ruinieren.
»April, das Gaspedal ist das da rechts«, nölte May vom Beifahrersitz aus, auf dem sie lümmelte, die Kapuze ihres schwarzen Pullis über die dunkelblonden Haare gezogen. »Vielleicht trittst du ja mal ein bisschen drauf, damit wir endlich von der Stelle kommen?«
»Tut mir leid, aber ich hab ein lupenreines Fahâ¦Â«
»Ich hab gesagt«, unterbrach mich June von hinten, »dass ich beliebt sein werde. Das ist mein Ziel für dieses Jahr. Neues Schuljahr, neues Leben.«
»Du bist wohl âne Kreuzung aus typischem Highschool-Frischling und Oprah Winfrey«, spottete May. Auch ohne ihr Gesicht zu sehen wusste ich, dass sie die Nase rümpfte â was ich nicht ausstehen kann. »Wieso versuchst du nicht zur Abwechslung mal ân bisschen individuell zu sein?«
»Ja, na klar«, giftete June, »weil dein Individuell-Sein dir ja so unglaublich viel gebracht hat. Was ist eigentlich so schlimm dran, beliebt zu sein? Gandhi war auch beliebt.«
»Gandhi hat für den Weltfrieden gehungert und wurde am Ende von seinem Erzfeind ermordet«, informierte ich sie. »Und dem willst du jetzt nacheifern?« Während wir an der roten Ampel warteten, beobachtete ich, wie sich der Verkehr an dem kleinen Einkaufszentrum vorbeischob und bei Starbucks auf der anderen StraÃenseite die Leute Schlange standen. Einen Block weiter, egal in welche Richtung, und der Anblick wäre genau derselbe. May nennt unsere neue Wohngegend immer »das von der Vielfalt vergessene Land«.
»WeiÃt du überhaupt, wer Gandhi war? «, fragte May und drehte sich doch noch zu June um, gerade als die Ampel auf Grün schaltete. Ich konnte June im Rückspiegel sehen, wie sie sich genervt mit den Händen die dunklen Haare glatt strich, um den Krissel im Zaum zu halten. Sie hat lange braune Haare und einen perfekten Pony über der Stirn, den sie immer stundenlang frisiert. AuÃerdem hat sie groÃe blaue Augen, aber bitte sagt ihr das nicht, sonst wird sie gleich ganz putzig und klimpert mit den Wimpern â und es ist einfach nur peinlich, das mit anzusehen. Aber okay, zugegeben, meine kleine Schwester ist echt süÃ.
Das nervt vielleicht.
»Genau das dachte ich mir.« May drehte sich wieder nach vorn. »April, ich haltâs nicht aus, du fährst so langsam, dass es sich anfühlt wie rückwärts.«
May wiederum würde ich nun echt nicht als süà beschreiben. Tierkinder sind süÃ. June ist süÃ. May ist dagegen vollkommen anders. Sie ist so klapperdürr, dass alles an ihr unproportioniert wirkt. Selbst ihre Ellbogen sehen aus, als würden
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