Die Aussortierten (German Edition)
Ihr Verständnis rechnen kann.“
„Natürlich. Kein Problem. Sie werden darüber nichts lesen“, antwortete Meyerdierks mit leicht säuerlichem Gesicht.
Eine Viertelstunde Stunde später betraten zwei Beamte der uniformierten Schutzpolizei das Restaurant und nahmen eine Anzeige auf. Da in Niedersachsen der Kriminaldauerdienst aufgelöst worden war, gab es für Feiertage oder nachts bei der uniformierten Schutzpolizei sogenannte Tatortermittler, die fachlich dafür ausgebildet waren, an einem Tatort Spuren zu sichern. Einer der beiden Polizisten war ein solcher Tatortermittler. Er konnte jedoch keine Spuren sichern.
2. Kapitel
Anruf bei einem Kommissar
Zur selben Zeit, als in der Muskatnuss gerade „Die Aussortierten“ ihr Werk vollbrachten, legte Erster Kriminalhauptkommissar Dr. Ulrich de Wall eines seiner Lieblingsvideos in den DVD-Player ein: Den alten Fernsehklassiker „Die Gentlemen bitten zur Kasse“, mit Horst Tappert in der Hauptrolle. Der neue Leiter des 1. Fachkommissariats des Zentralen Kriminaldienstes bei der Polizeiinspektion „Region Oldenburg“ freute sich auf einen gemütlichen, ruhigen Fernsehabend. Die letzten Wochen waren wegen des Gerangels um seinen neuen Posten nervenzehrend gewesen. Zunächst war alles ganz glatt gelaufen, weil ihn hier in Oldenburg bei der Polizei niemand näher kannte – das heißt: Bis auf eine Person – und auch im Innenministerium keiner mitbekommen hatte, dass er politisch nicht so eingestellt war, wie man es eigentlich von einer Führungskraft in der niedersächsischen Polizei erwartete. Trotzdem hätte er den Posten nie bekommen, wenn ihn nicht Hans-Jürgen Tauber, der Leiter des Zentralen Kriminaldienstes, protegiert hätte. Tauber kannte de Walls Vater, der ebenfalls Polizist gewesen war, gut. De Walls Vater war früher einmal Taubers Vorgesetzter gewesen. Deshalb kannte Tauber de Wall junior schon, als dieser noch ein Kind war. Beide mochten sich, was wahrscheinlich daran lag, dass auch Tauber kein typischer Polizist war und mit seinen Eigenheiten und Vorlieben nicht ganz in die Polizei passte. Aber Tauber, der aus ganz kleinen Verhältnissen kam, war ehrgeizig, weil er Armut hasste und das Leben genießen wollte. Und er hatte die Fähigkeit, sich geschmeidig in Hierarchien zu bewegen und diese für seine Zwecke zu nutzen, was aber nie dazu führte, dass er sich prostituierte. Er hatte einfach – im Gegensatz zu de Wall – die Fähigkeit, pragmatisch die Realitäten zu nehmen, wie sie sind. Während de Wall eher dazu neigte, dagegen anzukämpfen. Wie de Wall später erfuhr, hatte Tauber gegenüber dem Polizeipräsidenten und Entscheidern aus dem Innenministerium angedeutet, dass de Wall auch deshalb aus Berlin wegwolle, weil er sich als Polizist mit der rot-roten Regierung nicht wohlfühle. Dies hatte er, wie es seine Art war, erkennbar, aber so nebulös formuliert, dass man ihn darauf nie hätte festklopfen können. Was auch fatal gewesen wäre, denn er wusste ganz genau, dass de Wall politisch dem ganz und gar nicht entsprach. Als de Wall und Tauber dachten, alles und Dach und Fach zu haben, reichte ein Konkurrent eine sogenannte „Konkurrentenklage“ ein. Nachdem nach Wochen auch dies nun endlich zu de Walls Gunsten entschieden war, ging die Wohnungssuche und der Umzug los. Was für de Wall eine Qual war. Denn obwohl er gerade unter Zeitdruck sehr gut organisieren konnte und in seinem Leben immer seine Termine eingehalten hatte, hasste er es wie die Pest, nach einem ihm vorgegebenen Zeitplan hetzen zu müssen. Wie er überhaupt zwanghaft geschäftige Menschen hasste, die auch noch stolz darauf waren, nie Zeit zu haben. Als er vor Kurzem im Radio eine Sendung über das Thema „Warum haben wir alle keine Zeit mehr?“ hörte, und eine sogenannte „Expertin“ ständig die Worte „Zeitmanagement“, „Belastungsmanagement“ und „Freizeitmanagement“ im Munde führte, und offenbar jegliche spontane und nicht marktgängige emotionale Regung in sich abgetötet hatte, dachte de Wall nur noch: „Du hast wahrscheinlich auch noch ein Fickmanagement“. An diesem Freitag hatte de Wall den ersten Monat als Leiter des Fachkommissariats hinter sich, und war von den letzten Wochen einfach geschlaucht und froh, nun endlich das Wochenende genießen zu können. Gerade als er das Video eingeschaltet hatte und es sich mit einer schönen Tasse Tee, Schokolade und einer Schachtel Marlboro gemütlich gemacht hatte (eigentlich war er
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