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Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Titel: Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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einer nach dem anderen Emilia um Lektüre. Sie fertigte einen kleinen Ausleihkatalog an und entsprach den artigen Bitten der Männer. Die Tage vergingen, einer wie der andere. Emilia fühlte sich wohl auf dem Schiff, aber sie schienen nicht vorwärtszukommen.
    Und dann endlich sahen sie in der Ferne etwas. Einer der Paulsens wurde in den Ausguck geschickt, sie verglichen die Karten mit der Position.
    »St. Vincent«, sagte Carl erleichtert.
    Stück für Stück näherten sie sich der Insel. Öde Gebirgszüge und dazwischen ein Naturhafen. In der Mitte ein steil aufragender Fels, wie ein großer Keil, der das Leuchtfeuer trägt. Carl hatte ihr den Hafen in einem seiner Briefe beschrieben und alles stimmte genau, wie Emilia feststellte. Seltsam war es, Land zu sehen, nach all den Wochen, in denen sie nur von Meer und Himmel umgeben waren. Ruderboote näherten sich, als sie in den Hafen einfuhren. Die Männer auf den Booten priesen ihre Ware an.
    »Sorgt dafür«, sagte Carl zu Wölsch, »dass wir genügend Vorräte auffüllen. Der Smutje soll mit Euch kommen. Aber lasst Euch nicht übers Ohr hauen.«
    »Aye, aye, Kapitän!«
    »Die Siedlung hier ist öde und karg, aber es gibt einen Doktor«, sagte Carl. »Wir sollten ihn aufsuchen.«
    »Warum?« Emilia wusste, dass er sich sorgte, aber der Gedanke an einen Doktor war ihr peinlich.
    »Bitte, Emma.«
    Die Felsen der Insel waren mit graugrünen Pflanzen bewachsen, die vom Schiff aus wie Moos wirkten. Das Boot kam, um sie zum Ufer zu bringen. Als sie näher kamen, sah Emilia, dass es kleine, fleischige Pflanzen mit dicken Blättern waren.
    »Wie lange werden wir hierbleiben?«, fragte Emilia und hatte Mühe, Karamell zu bändigen. Sie schien schon die Gerüche des Landes zu riechen, wollte so schnell wie möglich aus dem Boot springen.
    »So lange, wie es dauert«, sagte er barsch. Er seufzte. »Ich will mit dem Doktor sprechen. Wir kaufen hier nur frische Lebensmittel, geben die Post auf und nehmen Briefe, so denn welche da sein sollten, in Empfang. Dann fahren wir wieder. Aber …«, er zögerte, »ich mache mir Sorgen um dich und das Kind. Was, wenn es auf hoher See zur Welt kommt? Es ist dein erstes Kind und keine Hebamme ist da, die dich unterstützen könnte.«
    Emilia holte tief Luft. Die ganze Zeit schon versuchte sie, die Erinnerung an die Schreie ihrer Mutter während der Geburten zu verdrängen. »Ich bin nicht die erste Frau, die ein Kind zur Welt bringt«, sagte sie.
    »Du wärst allein …«
    »Du bist da und der Smutje. Er versteht viel von Kräutern.«
    »Emma, das ist keine Schürfung oder eine ausgerenkte Schulter, Liebes.« Carl klang verzweifelt. »Ich wünschte, ich hätte dir das nicht angetan.«
    »Du willst das Kind nicht?« Sie sah ihn entsetzt an.
    »Doch, natürlich. Aber ich will nicht dein Leben aufs Spiel setzen. Und ich hätte uns einfach mehr Zeit gewünscht. Gemeinsame Zeit. Mit dir an Bord ist alles anders, das empfinden die Steuerleute und die Mannschaft auch so. Es wird weniger gestritten, es geht alles ein wenig ruhiger und gesitteter zu. Das ist ganz merkwürdig, aber ich glaube, es liegt an deiner Anwesenheit. Ich wäre auch nie auf den Gedanken gekommen, dass die Jungs lesen wollten. Nun streiten sie sich fast um die Bücher.«
    »Sie tragen sich immer ganz ordentlich in die Listen ein«, sagte Emilia stolz.
    »Ja, aber als es keine Bücher an Bord gab, haben sie Kakerlaken gezüchtet und Kämpfe zwischen ihnen ausgetragen.«
    »Du hattest doch auch immer Bücher dabei.«
    »Richtig. Aber ich habe höchstens in der Kajüte gelesen, abends oder zwischen den Wachen. Das hat die Mannschaft gar nicht so registriert, denke ich. Ich bin gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass sie sich Bücher ausleihen wollten.«
    »Nun, sie haben mich gefragt. Ich wäre auch nicht von mir aus auf die Idee gekommen, aber ich finde es gut. Überhaupt«, sie drückte seine Hand, »liebe ich das Leben an Bord.«
    »Ja, aber das wird jetzt ein Ende nehmen«, sagte er düster.
    »Weshalb?«
    Überrascht sah er sie an. »Weil du ein Kind erwartest. Selbst wenn du das Kind in Chile oder Peru bekommst und hoffentlich nicht mitten auf hoher See, wirst du die ›Lessing‹ verlassen müssen, spätestens, wenn wir wieder in Hamburg sind und die Order abliefern. Wie stellst du dir das vor? Mit Kind auf dem Schiff?«
    »Ach, Carl. Das werden wir sehen, wenn es so weit ist. Es wird sich eine Lösung finden.«
    »Hast du keine Angst?«
    »Nein«, log sie.
    Der Arzt war

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