Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
Treiben um sich herum. Auch Rieke war stiller als sonst.
»Machst du dir Sorgen?«, fragte Emilia.
»Weeß nich. Ist halt en neues Land. Aventeuer, irjentwie. Wer weeß, wat allet kümmt.«
»Ich werde immer für dich da sein, wenn du Hilfe brauchst.«
»Dat weeß ik ooch.« Rieke grinste. »Wird scho werden.«
Am Abend kam der Lotse an Bord und sie fuhren in den großen Hafen ein. Lange stand Emilia an der Verschanzung, suchte den Hafen ab. Schließlich wurde sie fündig. Dort war die »Lessing«. Erleichtert atmete sie auf.
Sie gingen im Hafenbecken vor Anker. Ein seltsames Gefühl. Das Schiff rollte zwar noch ein wenig in den Wellen, aber es lief nicht mehr durch die See.
Emilia und Rieke hatten ihre Habseligkeiten verstaut. Ein letztes Mal wurde in der Kajüte zu Tisch gebeten. Eine seltsame Abschiedsstimmung lag über allen. Sie hatten Monate zusammen verbracht und am kommenden Tag würde jeder seiner Wege gehen. Mit Antonie, das wusste Emilia, würde sie in Kontakt bleiben. Auch Doktor Geisler hatte sie ins Herz geschlossen. Doch er wollte weiterziehen, ins Landesinnere und Forschung betreiben. Kapitän Decker und die »Sophie« würden sie vielleicht in einem anderen Hafen wiedertreffen. Aber nie wieder würden sie so zusammensitzen.
In dieser Nacht schlief kaum jemand an Bord. Im Zwischendeck wurde gepackt und verstaut, Unruhe und Angst vor der ungewissen Zukunft lag über dem Schiff. Aber auch die Freude, endlich das langersehnte Ziel erreicht zu haben.
Emilia konnte kaum glauben, dass sie morgen ihren Carl endlich wieder in die Arme schließen würde. Mehr als zwei Jahre hatten sie sich nicht gesehen. Sie freute sich darauf, machte sich aber auch Sorgen, ob alles noch so sein würde wie früher. Immerhin kannte erMinnie noch gar nicht und Lily war sehr groß geworden. Doch als sie sich erinnerte, wie liebevoll er mit Lily umgegangen war, schob sie ihre trüben Gedanken beiseite.
Aber zwei Jahre waren eine lange Zeit. Sie hatte ein weiteres Kind bekommen, hatte Entscheidungen allein treffen müssen, hatte diese Reise angetreten, die nun ihrem Ende entgegenging. Carl hatte die neue, unbekannte Welt erkundet, ein Haus gekauft und Charter ausgemacht. Auch er würde sich verändert haben. Sie wusste, dass er ihr schreckliche Erlebnisse, so er denn welche gehabt hatte, verschwieg, um sie zu schonen. Waren sie in einen Sturm geraten? War jemand von der Mannschaft erkrankt? Von kleineren Übeln berichtete er, aber nicht von den großen. Doch sie hatte auch zwischen den Zeilen gelesen, gerade die ersten Briefe waren voller unterdrückter Sorge gewesen. Sorge um sie und die Kinder, aber sicher auch Sorge darüber, ob es in Australien tatsächlich eine Zukunft für die Familie geben würde. Morgen würden sie sich endlich wiedersehen und sie konnte es kaum erwarten. Sie sehnte sich nach seinem Anblick, seiner Stimme, seinem Geruch, seiner Haut und seinen Händen.
Früh am Morgen, die Schiffsglocke schlug zum Wachwechsel, stand sie leise auf und kleidete sich an. Dann begab sie sich an Deck. Die Sonne ging gerade auf, der Hafen lag noch in einem diffusen, unwirklichen Licht. Dort irgendwo würden sie wohnen. Der Himmel schien hier viel weiter und größer zu sein als in Europa, das Meer war von einem leuchtenden Blau. Die Hügel in der Ferne schimmerten rötlich. Ein Land voller Farben, mit fremden Gerüchen. Ein Kormoran glitt durch die Luft, stieß seinen Ruf aus – eine Mischung zwischen dem Gurren einer Taube und dem Jammern der Schafe bei Regen, fand Emilia. Es war frisch, fast schon kalt, aber klar.
Langsam kam Leben in den Hafen, Segler und Fischerboote liefen aus, Arbeiter ent- oder beluden die Frachtschiffe. Auch hier gab es schon die ersten Dampfsegler und auch kleine Dampfschlepper.
Die »Sophie« hatte am Außenrand des Hafens geankert, erst mussteder Hafenarzt das Schiff abnehmen und die Zollkontrolle stattfinden. Da näherte sich auch schon ein Boot, kam längsseits.
Kapitän Decker trat an Emilias Seite. Das Fallreep wurde heruntergelassen, der Arzt und die Zollbeamten kamen an Bord.
Die Auswanderer mussten sich auf Deck aufstellen und einen großen Teil ihrer Kleidung ablegen.
»Wollt Ihr nicht lieber hineingehen?«, fragte Decker Emilia.
Sie schüttelte den Kopf. »Wonach schaut er?«
»Nach Krankheiten wie den Blattern oder den Pocken.«
»Und wenn jemand das hat?«
»Dann muss er in Quarantäne gehen. Eigentlich alle Passagiere.«
»Wir auch?«, fragte sie entsetzt.
»Nein.«
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