Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
Decker schüttelte den Kopf. »Das gilt nicht für das Oberdeck. Wohl aber für die Mannschaft. Haben wir ansteckende Krankheiten an Bord, wird der Landgang eingeschränkt oder sogar untersagt. Das ist mir bisher nur einmal passiert. Der Matrose kam an Land auf die Quarantänestation, und als wir wieder in See stachen, haben wir ihn zurückgeholt.« Er grinste. »Aber macht Euch keine Sorgen, Doktor Geisler hat uns allen beste Gesundheit bescheinigt. Der Arzt wird Euch nur kurz anschauen.«
»Muss ich mich auch ausziehen?«, wisperte Emilia und schaute wieder mittschiffs. »Das musste ich noch nie.«
Decker lachte laut. »Nein, keine Sorge.« Er tippte an seine Mütze und ging nach vorn.
Einige der Auswanderer waren extrem erschöpft und zeigten Mangelerscheinungen, aber keiner hatte Anzeichen einer ansteckenden Krankheit. Wie Decker vorausgesagt hatte, wurden die Passagiere des Oberdecks nur kurz begrüßt und bekamen dann die Genehmigung, das Land zu betreten. Auch die Zollformalitäten waren schnell abgeschlossen. Der Arzt und die Beamten verließen die »Sophie« und ein Schlepper kam, nahm die Leinen und mit einem Ruck setzte sich das Schiff wieder in Bewegung, nachdem der Anker eingeholt worden war. Langsam wurden sie zum Kai geschleppt. Emilia stand an der Reling, Minnie auf dem Arm und Lily an der Hand. Wo war Carl?Ihre Augen suchten den Kai ab, viele Menschen standen dort, Händler, Agenten, Arbeitsvermittler und Gauner, die die Neuankömmlinge übers Ohr hauen wollten. Decker hatte die Auswanderer eindringlich vor den Betrügern gewarnt.
Dort? War das Carl? Aber er sah so hager aus und kleiner, als sie ihn in Erinnerung hatte. Aber vielleicht täuschte die Entfernung? Ihr Herz schien ein kleines Tier zu sein, das wild in ihrem Brustkorb herumsprang.
»Wo ist Papa?«, fragte Lily und stellte sich auf die Zehenspitzen. Dennoch konnte sie kaum über die Verschanzung schauen. »Ich sehe gar nichts!«, sie stampfte wütend mit dem Fuß auf.
Rieke, die hinter ihnen stand, trat vor und hob sie hoch.
»Papa?«
»Dort.« Emilia zeigte in die Menge. »Der Mann mit dem blauen Anzug und dem Bart«, sagte sie fast tonlos.
»Das ist Papa? Hallo, Papa!« Lily winkte. »Papa, hier bin ich!«
Emilia konnte sich das Lachen kaum verkneifen. Minnie schmiegte sich an sie, klammerte sich geradezu an ihr fest. »Mama«, sagte sie leise. »Will Mama.«
»Ich bin doch hier, Täubchen.« Emilia spürte Minnies Angst vor dem Unbekannten, ihr ging es ähnlich. Doch die Freude überwog. Endlich! Endlich hatten sie sich wieder. Der Abstand zum Ufer verringerte sich mehr und mehr, die Fender wurden ausgehängt. Das Schiff vibrierte, als es anlegte, die Leine geworfen und festgemacht wurde. Die Gangway wurde ausgelegt, die »Sophie« war mit dem neuen Land verbunden. Nur wenige Schritte trennten Emilia jetzt noch von Carl.
Te Kloot stand schon an der Gangway, er verließ als Erster das Schiff, seine Frau folgte ihm mit trippelnden, unsicheren Schritten. Doktor Geisler lächelte und ließ Emilia den Vortritt. Sie eilte die Planken hinunter, hatte ihren Blick fest auf Carl gerichtet, der unten am Kai stand und ihr entgegensah. Dann betrat sie das Land, atmete einmal tief durch. Carl stand vor ihr, sie schauten sich an, erst unsicher, aber dann lächelte er freudig.
»Emma, endlich!«
Am liebsten wären sie sich in die Arme gefallen, aber das schickte sich nicht.
Carls Blick wanderte zu Minnie. Fassungslos schüttelte er den Kopf. »Bist du groß geworden, Lily«, sagte er leise.
Emilias Anspannung löste sich in einem lauten Lachen. »Aber das ist Minnie, deine zweite Tochter.«
»Was? Das kann nicht sein.« Er schluckte. Dann streckte er die Hände aus. »Hallo, Minnie, Süße.«
Das Kind drückte sich eng an Emilia, wandte den Kopf ab.
»Papa! Du bist Papa!«, rief Lily, die mit Rieke die Gangway hinunterkam. »Mein Papa!« Sie riss sich los, stürmte auf Carl zu und sprang in seine Arme.
Es war ein aufregendes Wiedersehen und bald wusste Emilia nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. Minnie weinte, sie hatte Angst vor den vielen Leuten und dem Lärm am Kai, dem fremden Mann und all dem Neuen. Schließlich nahm Rieke sie und ging mit ihr zu der Kutsche, die auf sie wartete.
»Das Gepäck und der Hund …«, sagte Emilia.
Carl lächelte. »Darum wird Wölsch sich kümmern.« Er drehte sich um und winkte seinen Steuermann herbei, der abseits gewartet hatte.
»Gnädigste, endlich seid Ihr hier. Der Kapitän war kaum noch zu
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