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Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Titel: Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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niemand sie verstehen konnte, doch ihre Verbeugungen und Gesten sagten mehr als tausend Worte. Sie halfen beim Lenzen und Segelaufziehen und schon bald war die angeschlagene »Lessing« wieder einigermaßen fahrtüchtig. Nach zwei Tagen erreichten sie den nächsten Hafen an der Küste Chinas.
    Doch der Schaden an der »Lessing« war größer als vermutet. Carl saß voller Sorgen in der Kajüte und listete die nötigen Reparaturen auf. »Das wird uns Wochen kosten, vom Geld ganz zu schweigen«, stöhnte er. »Wir müssen ins Dock, es hilft alles nichts.«
    »Wir sind doch in einem Hafen«, sagte Emilia.
    »Aber auf chinesischem Gebiet, Liebste. Es gibt nur wenige Häfen, die wir anlaufen dürfen. Die Bezirke werden von Mandarinen befehligt, und die sind den Europäern gegenüber eher feindlich gesinnt.«
    »Heißt das, die ›Lessing‹ kann hier nicht ins Dock gehen?« Emilia mochte es kaum glauben.
    »Schon. Aber die Preise, die sie nehmen, sind unerschwinglich.« Carl senkte bedrückt den Kopf.
    »Wir haben Besuch«, verkündete der Steward plötzlich. »Schaut.«
    Carl ging ans Deck. An der Gangway stand eine ganze Delegation Chinesen. Zum Glück hatten sie einen Übersetzer dabei, der Englisch sprach. Zwei Stunden später kehrte Carl in die Kammer zurück. Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Das war der Mandarin des Bezirks. Seinem Schwager gehörte die Dschunke, deren Männer wir gerettet haben. Aus Dankbarkeit übernimmt er die Reparatur der ›Lessing‹. Heute noch werden wir ins Dock geschleppt. Und eine Fracht hat er mir auch versprochen.«

1880–1890
 
Minnie
24. K APITEL
    »Minnie«, sagte Emilia und schaute auf die Küchenuhr. »Bitte geh zum Hafen und schau, ob es Neuigkeiten gibt. Dein Vater müsste jeden Tag rapportiert werden.«
    Die zweiundzwanzigjährige Minnie stand seufzend auf. »Kann das nicht Lily machen? Sie treibt sich doch eh am liebsten im Hafen und bei den Schiffen herum.«
    »Lily ist mit Lina und May im botanischen Garten. Nun hab dich nicht so. Du sollst doch kein Schiff besteigen«, sagte Emilia amüsiert.
    Nach dem Sturm in der chinesischen See hatten sie eine Glückssträhne. Aus Dankbarkeit unterstützte sie der Mandarin einige Jahre und verschaffte ihnen immer wieder Orders. Im Dezember 1863 brachte Emilia ihr fünftes Kind, Clara Mathilde, auf dem Weg nach Neukaledonien zur Welt. Es war das letzte Kind der Familie, das auf der »Lessing« geboren wurde. 1864 blieb Emilia mit den Kindern in Sydney. Rieke hatte inzwischen geheiratet, kam aber des Öfteren, um Emilia zu helfen. Sie hatten ein bis zwei Ureinwohnerinnen als Hilfen, mehr konnten sie sich nicht leisten, auch wenn Carl eine Charter nach der anderen annahm. Die Dampfschiffe liefen den Seglern immer mehr den Rang ab.
    1866 bekam Emilia ihr sechstes Kind, wieder ein Mädchen – Johanna. 1870 wurde die kleine Susan geboren, sie war von Anfang an kränklich und schwach und starb kurz vor ihrem ersten Geburtstag. Es war das erste Kind, das Emilia zu Grabe tragen musste, und es schmerzte sie sehr. 1873 kam Marie Pauline, genannt May, zur Welt und 1876 wurde das letzte Kind, Lina – Caroline –, geboren. Neun Kinder hatte Emilia zur Welt gebracht. Bei der ersten Geburt war sie einundzwanzig gewesen, bei der letzten vierzig Jahre alt.
    Die »Lessing« war inzwischen altersschwach. Manchen Sturm hatte sie überstanden, in vielen Häfen hatte sie angelegt, aber nun konnte sie mit den modernen Schiffen nicht mehr mithalten. Im Jahr zuvor hatte Carl beschlossen, noch einmal nach Europa zu segeln und seinen Bruder Robert abermals um Geld zu bitten, um damit ein Dampfschiff zu kaufen. Er hatte den knapp siebzehnjährigen Frederick, der von allen Fred gerufen wurde, mitgenommen. Auch Tony hatte mitreisen dürfen, sie hatte mit achtzehn die Schule beendet. Fast alle Kinder liebten es, wenn Carl sie auf die eine oder andere Tour mitnahm, nur Minnie nicht.
    »Minnie, bitte!« Emilia schaute auf. Ihre Tochter stand an der Tür zum Hof und blickte in den Garten, wo sich die Enkelin ihrer Hündin Lady im roten Staub wälzte.
    »Ja, Mama«, seufzte Minnie und ging. Es war gut eine Stunde Fußweg bis zum Hafen.
    »Bitte bring auf dem Rückweg Tee und Milch mit«, rief Emilia ihr hinterher und hoffte, dass ihre Tochter sie gehört hatte. Es war nicht immer leicht mit den vielen Kindern. Gerade die älteren Mädchen waren sehr unterschiedlich und stritten sich oft. Lily, Minnie und Tony hatten die Schule beendet, darauf hatte Carl

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