Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
sicher freuen, sogleich ein so hübsches Mädchen zu sehen, wenn er das neue Land betritt.«
Sie waren kaum auf dem Kai, als auch schon die ersten Passagiere die Gangway der »Charlotte« hinunterkamen. Te Kloot kniff die Augen zusammen.
»Wie sieht denn Euer Bruder aus?«
»Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war er neun Jahre alt. Ich habe zwar eine Fotografie von ihm, aber ob ich ihn erkenne?«, brummte te Kloot.
»Er ist so viel jünger als Ihr?«
»Zwanzig Jahre, um genau zu sein.« Unruhig ließ te Kloot seinen Blick über die Neuankömmlinge wandern.
Auch Minnie schaute interessiert zu den Menschen, die ihr Glück in Australien suchten. Ob sie den Bruder erkennen würde? Wäre es auch so ein Griesgram wie Jean te Kloot?
»Hannes?« Es war eine tiefe, aber angenehme Stimme neben ihr. Minnie drehte sich verblüfft um. Ein großer und schlanker Mann mit einem dunklen Bart und einer Nickelbrille stand neben ihnen und lächelte sie an. »Hannes, bist du das?«
Minnie zupfte Jean te Kloot am Ärmel. »Ich glaube, Ihr werdet gesucht.«
»Was?« Te Kloot schaute zu ihr, dann sah er seinen Bruder. »Rudi? Rudi!« Die beiden fielen sich in die Arme, klopften sich auf den Rücken. »Ich freue mich so!«
Sie rückten voneinander ab, musterten sich.
»Sag jetzt nicht ›Mensch, bist du groß geworden‹«, meinte Rudolph lachend. »Dann sage ich auch nicht ›Mensch, bist du alt geworden‹.«
Jean fiel in sein Lachen ein. »Ich hätte dich nicht erkannt.«
Minnie trat ein paar Schritte zurück, das Wiedersehen der beiden Männer berührte sie. Hier zeigte Jean te Kloot eine Menschlichkeit, die er sonst nicht an den Tag legte.
Rudolph sah sie plötzlich an. »Und wer ist das? Willst du mich nicht vorstellen, Hannes?«
»Das ist Minnie Lessing, die Tochter eines ansässigen Kapitäns. Sie war noch in Windeln und lutschte am Daumen, als sie hierherkam.Sie war auf demselben Schiff wie wir damals.« Te Kloot grinste breit.
Minnies Wangen glühten, als hätte jemand sie mit kochendem Wasser übergossen.
»Minnie? Ist das ein Name hier?« Er lachte, es klang freundlich.
»Wilhelmina – nach meiner Großmutter. Herzlich willkommen in Australien.« Sie reichte ihm die Hand.
»Ich bin erfreut, direkt eine so schöne Frau kennenzulernen.«
»Ihr wollt Euch hier niederlassen?«, fragte Minnie und schalt sich sofort. Natürlich wollte er das. Er war sicher nicht nur gekommen, um seinen Bruder zu besuchen.
»Er wird in die Firma einsteigen«, polterte te Kloot. »Rudi spricht perfekt Französisch. Wir wollen eine Niederlassung auf Neukaledonien eröffnen. Das ist mein Begrüßungsgeschenk an dich – du sollst die Niederlassung dort leiten. Alles schon mit Beckerath abgesprochen. Na, was sagst du?«
Rudolph schaute seinen Bruder stumm an. Es wirkte, als sei plötzlich ein Visier vor sein Gesicht geklappt worden. »Darüber reden wir noch«, antwortete er schließlich.
»Ich wusste, dass dich das Angebot überraschen würde.« Te Kloot klopfte Rudolph kräftig auf die Schulter. »Aber ich habe dir geschrieben, dass es hier phantastische Perspektiven für dich gibt, und ich habe dir nicht zu viel versprochen. Deine Zukunft ist schon gesichert. Und nun komm, wir müssen uns um dein Gepäck kümmern.« Er drehte sich um und zog ihn mit sich. Rudolph befreite sich von dem Griff, wandte sich Minnie zu. »Ich hoffe, wir werden uns wiedersehen.« Dann folgte er seinem Bruder.
Das hoffe ich auch, dachte Minnie. Sie ging zurück in das Hafenbüro, wo schon der erste Steuermann des Dampfers stand.
»Ihr Vater wird wohl morgen einlaufen«, sagte der Hafenbeamte. »Schönen Gruß an Eure Frau Mutter.«
»Danke.« Beschwingt ging Minnie nach Hause, in Gedanken ganz bei Rudolph. Seine tiefe Stimme, sein Lächeln und seine angenehme Art hatten sie beeindruckt. Darüber vergaß sie, Milch und Tee mitzubringen.Doch die Neuigkeit, dass die »Lessing« schon am nächsten Tag einlaufen würde, ließ Emilia Minnies Nachlässigkeit vergessen.
»Wir müssen morgen einkaufen. Ein Festmahl soll es geben. Und die Betten muss ich frisch beziehen, gewischt muss auch werden. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.« Emilia lief ins Schlafzimmer und begann, die Betten abzuziehen.
Ihre großen Töchter lachten.
»Mama, immer mit der Ruhe. Wir helfen dir. Lass uns einen Plan machen«, sagte Lily und nahm ihre Mutter in den Arm. »Wir alle freuen uns, dass Papa endlich wiederkommt.«
Emilia ließ die Arme sinken, lachte dann auch.
Weitere Kostenlose Bücher