Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
dort entstehen.
Sie eilte die Straße entlang und kam auf die Pyrmont-Halbinsel, die so genannt wurde, weil es dort eine klare Quelle gab. Aber es gab auch guten Sandstein, der abgebaut wurde. Das Hämmern und Bohren der Steinbrüche lag genauso in der Luft wie der feine Staub. Minnie hielt sich ihren Schal vor den Mund. Es gab einen anderen Weg zum Hafen, aber der war eine halbe Stunde länger zu gehen.
Eine lange Brücke führte über die Bucht zur Innenstadt. Sie schlenderte über die Hickson Road, schaute in die Auslagen der Geschäfte.Ein buntes Treiben herrschte hier, Gherrys – einspännige Kutschen – fuhren genauso wie schwere Karren, die von Kaltblütern gezogen wurden. Es gab eine Pferdetram, die mit lautem Klingeln durch die Straßen fuhr, und auch Rikschas, die von Einwanderern aus Indien gezogen wurden. Garküchen an jeder Ecke verbreiteten ihre Gerüche, aus den Bäckereien duftete es nach frischem Brot. Sie ging weiter bis zu Millers Point und von da aus zu den Docks des Hafens. Die Türen der Hafenkneipen standen auf und es stank nach billigem Bier und Wein.
Minnie ignorierte die Rufe der Matrosen und ging weiter bis zu den Kais. Im Hafenbüro begrüßte sie der Beamte mit einem freundlichen Lächeln. Die Lessings waren bekannt. Hier rapportierten die einlaufenden Schiffe alle, denen sie begegnet waren, und meldeten die Positionen und Flaggen.
»Euer Vater wird spätestens übermorgen einlaufen«, sagte er.
»Das wird Mutter freuen.«
»Vielleicht schon früher, der Wind steht günstig. Er hat einen Schlepper angefordert.«
»Dann kann er ja nicht mehr weit sein. Gibt es sonst noch Neuigkeiten?«
Der Beamte schaute in seinen Papieren, schüttelte dann den Kopf. »Keine Nachrichten kurz vor dem Hafen sind gute Nachrichten«, sagte er. »Aber vorhin hat ein Dampfer angelegt, der aus Europa kommt, vielleicht hat er auch etwas zu rapportieren. Wollt Ihr nicht warten? Es kann höchstens eine halbe Stunde dauern.«
Wenn die »Lessing« Kranke an Bord oder eine Havarie gehabt hätte, hätte sie das geflaggt und es wäre schon gemeldet worden. Aber vielleicht hatte die »Lessing« ja mehr Fahrt gemacht und würde früher kommen. Minnie beschloss, draußen zu warten. Sie nickte dem Hafenbeamten zu, drehte sich um und wollte gehen. Doch in der Tür wäre sie beinahe mit einem älteren und beleibten Mann zusammengestoßen. Es war Johannes te Kloot, der sich nun Jean te Kloot nannte. Er schnaufte wütend. Minnie wich ihm schnell aus. Sie kannte ihn, ihr Vater lief mit mancher Order von Beckerath und te Kloot. DieFamilien waren auch in derselben lutherischen Gemeinde und sahen sich oft bei den Gottesdiensten.
»Du bist doch Minnie Lessing?«, fragte te Kloot.
»Guten Abend, Herr te Kloot.« Minnie lächelte, knickste und wollte sich schnell nach draußen verziehen.
»Ich kann mich noch an dich erinnern, als du hergekommen bist. Wir waren auf demselben Schiff damals, auf der ›Sophie‹.« Er lächelte milde. »Das waren noch Zeiten, da gab es nur wenige Dampfer. Zu segeln ist doch etwas ganz anderes, als auf diesen Maschinen zu fahren.«
»Die ›Charlotte‹ hat schon angelegt, Herr te Kloot«, sagte der Hafenbeamte. »Ihr erwartet doch Verwandtschaft, nicht wahr? Das Schiff wurde freigegeben, die Passagiere dürften jeden Moment an Land kommen.«
»Das ist fein. Ja, mein Bruder Rudolph kommt endlich. Lange habe ich gebraucht, um ihn zu überreden herzukommen. Ich hoffe, er steigt in unser Geschäft ein. Dann will ich mal schauen, wo er bleibt.« Zufrieden drehte er sich um. »Was führt dich hierher, Minnie?«
»Ich wollte schauen, ob es Nachricht von meinem Vater gibt, er wird jeden Tag zurückerwartet.«
Te Kloot runzelte kurz die Stirn, dann nickte er. »Stimmt – Weizen nach Hamburg und mit Einwanderern zurück. Er hat sich ja lange gesträubt, die lange Tour zu nehmen und Einwanderer mitzubringen. Bin froh, dass er sich umentschieden hat, nichts bringt mehr Geld als Menschen als Fracht.« Er lachte, es klang höhnisch. »Zu schade, dass die Yankees den Krieg gewonnen haben, da wäre noch eine Menge Geld zu machen gewesen.«
Minnie sah ihn entsetzt an. »Mein Vater bringt doch keine Sklaven nach Australien. Das ist doch nicht erlaubt.«
Wieder lachte te Kloot. »Natürlich macht er das nicht, du kleines Vögelchen. Mein Bruder ist gerade eingetroffen. Er kommt aus Krefeld hierher. Komm, begrüß ihn mit mir.« Er fasste sie fest am Ellenbogen und zog sie mit sich. »Rudi wird sich
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