Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
großen Wert gelegt. Oft erzählte er von seinem Großonkel, dem Schriftsteller, und erinnerte sie daran, dass in ihren Adern auch sein Blut floss. Meist erntete er nur ein müdes Lächeln bei seinen Kindern, doch alle liebten es, ihrem Vater Briefe zu schreiben, wenn er auf Fahrt war. Carl schrieb oft und viel. Er und Emilia hatten ihren regen Briefwechsel wieder aufgenommen, als sie in Glebe sesshaft geworden war. Seine Touren dauerten höchstens Wochen oder Monate. So eine lange Trennung wie jetzt hatte es seit dem Anfang ihrer Ehe nicht mehr gegeben. Mittlerweile gab es Telegrafen und auch Dampfschiffe, die die Post brachten und mitnahmen, deshalb musste sie nicht mehr ewig auf die Briefe warten. Dennoch war es für sie belastend, dass er mit der »Lessing« diese lange Fahrt unternommen hatte. Robert hatte ihm wieder einmal Geld zur Verfügung gestellt und Carl hatte auch schon einen Dampfsegler in Auftrag gegeben. Die »Centennial« lag schon im Dock. Doch diegroße Familie kostete viel Geld und so sehr die beiden auch wirtschafteten und sich bemühten, reich waren sie über die Jahre nicht geworden.
Glücklich sind wir jedoch, dachte Emilia froh und pulte weiter die Bohnen, die sie im Garten anbaute. Der Nutzgarten war ein großes Glück für sie und auch, dass Inken ihr damals vieles gezeigt und beigebracht hatte. Emilia legte Kohl ein, trocknete Erbsen und Bohnen, baute Gemüse und Obst an. Minnie half ihr begeistert.
In Martin Vollmer, einem Deutschen aus dem Alten Land, der vor zwanzig Jahren nach Australien gekommen war, hatten sie einen guten Freund gefunden. Oft traf er sich mit Carl im deutschen Club, manchmal besuchten sich die Familien auch gegenseitig. Vollmers Frau Johanna war die Taufpatin von Hannah, Emilias sechstem Kind und dem Ersten, das auf australischem Boden geboren worden war. Vor allem Minnie liebte die große Gärtnerei, die Vollmer betrieb. Seit einem Jahr hatte sie dort eine Stelle.
Lily ging zum College, sie wollte Lehrerin werden. Tony würde eine Ausbildung zur Krankenschwester absolvieren, wenn sie wieder zurück war. Fred würde weiter die Schule besuchen, wie die anderen Kinder auch.
Es ist nicht leicht, dachte Emilia, aber wir gehen unseren Weg. Nie hatte sie bereut, ihrem Herzen gefolgt zu sein und Carl geheiratet zu haben. In Australien fühlte sie sich wohl und es war ihr Zuhause geworden, auch wenn sie so manches Mal von den Wintern in Othmarschen träumte.
Die Hündin, Carly hatten die Kinder sie genannt, kam in die Küche und legte sich unter den inzwischen alten und schrundigen Tisch.
Es war Dezember und der Hochsommer stand bevor. Weihnachten im Sommer war das Einzige, woran sich Emilia nicht gewöhnen konnte. Nur dann fehlten ihr der Schnee, die Kälte und der Tannenbaum, der nach Weihnachten duftete. Es gab Zedern und andere Nadelbäume, die sie notgedrungen als Ersatz nahmen, doch in der Hitze dufteten die Bäume nicht so wie ein Tannenbaum neben dem knisternden Kamin.
Weihnachten war anders in Australien, aber sie machten jedes Jahr ein Familienfest daraus, servierten Gans und Knödel, sangen Weihnachtslieder. Die Kinder verstanden alle Englisch und Deutsch, aber die jüngeren sprachen fast nur noch Englisch.
Hoffentlich, dachte Emilia, ist Carl bis Weihnachten zurück. Ein Fest ohne ihn hatte es, außer im letzten Jahr, lange nicht mehr gegeben.
Minnie lief die Straße hinunter zur Blackwattle Bay. Dort führte eine Straße am Ufer entlang. Rechts davon war ein Sumpfgebiet, in das jahrelang die Abwässer der Schlachtereien und Abkocher am Ufer der Bay geleitet worden waren. Es hatte hier immer entsetzlich gestunken und Minnie konnte nie verstehen, wie aus diesem stinkenden Gewerbe Seife und Kerzen erzeugt wurden. Lange Zeit hatte es eine Überpopulation an Schafen gegeben. Ihre Wolle war begehrt, aber die alten und kranken Tiere, von denen es in manchen Jahren tausende gab, wurden nicht mehr benötigt. Andere Schafe wurden geschlachtet, aber nur die Keulen und das Filet kamen in den Handel und auf die Tische der Menschen. Alles andere wurde verkocht, die Gelatine und das Fett wurden abgeschöpft und zu wohlriechenden Seifen und Kerzen verarbeitet. Die Abwässer hatten den kleinen Bach und den Sumpf verseucht. Da immer mehr Menschen sich in Sydney ansiedelten, wurden die Fabriken auf die andere Seite der Bucht verlegt, wo der Gestank niemanden störte. Vor einigen Jahren hatte man damit begonnen, den Sumpf trockenzulegen und aufzufüllen. Ein Park sollte
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