Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
»Ich benehme mich wie ein aufgeschrecktes Huhn, nicht wahr? Aber ich bin so aufgeregt.«
Fast zwei Jahre war Carl unterwegs gewesen, es war seine Abschiedsreise auf der alt gewordenen »Lessing«. Zu gerne hätte Emilia ihn noch einmal begleitet, aber die Kinder brauchten sie. In Australien gab es eine Schulpflicht für alle Kinder von sechs bis vierzehn Jahren, was die Lessings sehr begrüßten, denn Bildung war ihnen sehr wichtig.
Vielleicht, dachte sie, als sie sich am Mittag des nächsten Tages auf den Weg zum Hafen machte, kann ich später noch einmal mit Carl auf große Fahrt gehen. Doch auf dem Dampfer würde alles anders sein. Die Dampfschiffe waren nicht von Strömungen und den Winden abhängig, sie liefen stumpf ihre Route. Das hatte zwar viele Vorteile, Flauten gab es nicht und Stürme konnten umfahren werden, aber auch der Zauber der Seefahrt war somit nicht mehr gegeben.
Carl war die Entscheidung schwergefallen, doch eine große Familie musste ernährt werden. Er wollte seinen Kindern einen angemessenen Lebensstandard bieten und ihnen eine gute Ausbildung zukommen lassen und auch für Emilia sollte es leichter werden.
Rieke hatte geheiratet, war aber kinderlos geblieben. Noch immer kam sie hin und wieder vorbei, um Emilia im Haushalt zu helfen. Vor allem dann, wenn das Dienstmädchen sich mal wieder klammheimlich über Nacht davongeschlichen hatte. Emilia beschäftigteeinheimische Dienstmädchen, um ihnen eine Perspektive zu geben. Ihr taten die Aborigines leid, die von den Weißen verdrängt wurden und ihre Kultur immer mehr verloren. Oft sah man die dunkelhäutigen Männer und Frauen, die so anders aussahen als die Inder, Malaien und Chinesen, betrunken vor den Kneipen sitzen.
Seit einigen Jahren war Darri, eine Aborigine, bei ihr angestellt. Doch immer wieder verschwand sie für Wochen oder Monate.
»Es sind die Träume unserer Ahnen, denen wir folgen müssen«, hatte sie erklärt. Darri kam immer zurück, aber Emilia wusste nie, wann sie das nächste Mal auf ihre Traumpfade gehen würde.
Inzwischen waren die älteren Mädchen groß genug, um auch im Haushalt zu helfen, dennoch war es viel Arbeit und ganz ohne Hilfe nicht zu schaffen.
Nachdenklich ging Emilia weiter. Seit Wochen hatte es nicht geregnet und roter Staub lag in der Luft, drang durch jede Ritze, in jeden Winkel. Emilia hielt ihren Schal vor den Mund. Seit einiger Zeit wurden die Straßen mit Hartholz, meist Eukalyptus, gepflastert. Das sollte Erleichterung bringen, denn die Straßen der stetig wachsenden Stadt mit den vielen Fuhrwerken und Pferden waren in einem katastrophalen Zustand. Im Sommer lag eine Staubwolke über den Häusern und im Winter versank man im Matsch. Steine hatten sich als unpraktisch erwiesen. Der australische Granit war zu hart, die Hufeisen der Pferde und die Räder der Karren litten schnell darunter, zudem dröhnte es laut zwischen den hohen Häuserzeilen.
Emilia kam in die Innenstadt. Große Veranden vor den feinen Geschäften luden zum Flanieren ein, in den Straßen drängten sich die Menschen und Fuhrwerke dicht an dicht.
Sie hatte keine Zeit und auch keine Muße, sich die Auslagen anzusehen, eilte weiter zum Hafen. Dort standen die Lagerhäuser und Speicher eng beieinander, in den schmalen Gassen herrschte ein geschäftiges Treiben.
Endlich erreichte sie den Kai, gerade noch rechtzeitig. Die Gangway wurde herabgelassen, als Erstes gingen die Kabinenpassagiere von Bord. Aber dann … die junge Frau, war das etwa Tony? Und dergroßgewachsene Mann, konnte das ihr Sohn Fred sein? Emilia holte tief Luft, lief zum Anleger.
»Tony? Fred?«
»Mama!«
Die beiden stürmten die letzten Schritte hinunter, fielen ihr um den Hals. »Mama! Oh, wie schön ist es, zu Hause zu sein!«
Emilia drückte ihre Kinder an sich, hielt sie fest. Sie schaute nach oben, sah Carl an der Reling stehen. Er winkte ihr zu. Ihn würde sie erst später begrüßen können, wenn das Schiff entladen und alle Formalitäten abgewickelt waren.
»Wir hatten Glück auf der Überfahrt«, sagte Fred, »Gute Winde …«
»Und wir haben eine Walfamilie gesehen, vor vier Tagen noch …«, fiel Tony ihm ins Wort. »Ich soll dich ganz herzlich von Onkel Robert grüßen.«
»Und von Onkel Julius …«, sagte Fred.
Sie redeten durcheinander, fielen sich immer wieder ins Wort.
»Nun kommt erst einmal nach Hause«, sagte Emilia lachend. »Eure Schwestern sind auch schon ganz gespannt auf eure Berichte.«
»Wir haben dir etwas mitgebracht«,
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