Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
zurück.
»Lass du mich – nämlich schlafen. Noch zwei Monate, dann bin ich hier raus, ich kann es kaum erwarten.«
»Geht mir genauso! Zwei Monate muss ich noch das Zimmer mit dir teilen, bis du endlich weg bist.« Insgeheim beneidete Minnie Lily. Ihre Schwester hatte jetzt schon die Zusage für eine Stelle an einer Schule in Kingsford, südlich von Sydney. Dort würde sie zusammen mit ihren Kolleginnen in einem Wohnheim leben. Minnie mochte gar nicht daran denken.
Schon immer, seit sie denken konnte, hatte sie das Zimmer mit Lilygeteilt. Die beiden jungen Frauen waren so unterschiedlich wie Feuer und Wasser, aber trotzdem liebte Minnie ihre Schwester. Meist zumindest.
»Dann kannst du jeden Abend in aller Ruhe Briefe schreiben, so wie Mutter«, spottete Lily. »›Mein lieber Rudolph, heute habe ich Tomaten ausgesät. Die Gurkensetzlinge habe ich veredelt und gedüngt.‹ Wie romantisch!« Sie lachte höhnisch.
»Du hast meine Briefe gelesen?«, zischte Minnie empört. »Was fällt dir ein?«
»›Liebe Minnie, es ist so schön zu lesen, dass du meinen Rat angenommen und mehr Grünschnitt unter den Guano gemischt hast. Ich bin mir sicher, dass du dadurch mehr Ertrag bei den Tomaten haben wirst‹. Wie liebevoll und zärtlich ihr euch über Guano schreibt«, kicherte Lily. »Über Vogelscheiße. Es ist nicht zu glauben.«
»Du Biest!«, kreischte Minnie auf, sprang aus dem Bett und riss ihrer Schwester die Decke weg. »Wie kannst du es wagen?«
»Ich bitte dich, wie kannst du dich in diesen biederen Mann verlieben? Einen Bauern.«
»Du kennst ihn doch gar nicht!«
»Ich habe ihn gesehen«, sagte Lily triumphierend. »Ich war in der Gärtnerei letzte Woche an meinem freien Tag. Hab Tante Hanna ein paar Sachen gebracht, die Mutter ihr gestrickt hat. Und bei der Gelegenheit habe ich deinen Schatz in Augenschein genommen.«
Minnie schnappte nach Luft. »Hast du mit ihm gesprochen?«
»Nur belangloses Zeugs.«
»Das hat er mir gar nicht gesagt«, hauchte Minnie.
»Wie auch? Er dachte, ich sei eine Kundin. Ich habe ihm nicht unter die Nase gerieben, dass ich deine Schwester bin. Gib her!« Sie zog Minnie die Decke aus den Händen, rollte sich darin ein. »Und jetzt geh ins Bett, du holst dir sonst noch den Tod. Außerdem müssen wir morgen früh aufstehen«, gähnte sie.
Minnie trollte sich in ihr Bett, zog sich die Decke bis zum Kinn. »Und?«, fragte sie dann leise. »Wie findest du ihn?«
»Stattlich«, sagte Lily nachdenklich. »Groß und kräftig. Die Nickelbrilleist niedlich, er zwinkert immer so heftig, wenn er nervös ist, oder?«
»Ja«, sagte Minnie grinsend. »Ich mag das.«
»Und er wirkt durchdacht.« Lily schwieg für einen Moment. »Landwirtschaft ist sein Leben, nicht wahr?«
»Ja.«
»Dann seid ihr ja wie geschaffen füreinander.« Sie drehte sich um und schon wenig später konnte Minnie ihre ruhigen Atemzüge hören.
Sie selbst fand nur schwer in den Schlaf. Ihre Gedanken waren bei Rudolph.
Was Lily nicht wusste und auch sonst niemand, war, dass sie sich regelmäßig trafen, wenn sie in der Gärtnerei arbeitete. Meist hinter der hohen Mauer des Gemüsegartens, wo die Backsteine die Wärme der Sonne speicherten. Viel hatten sie miteinander geredet, immer vertrauter waren sie sich geworden. Sie hielten sich an den Händen, küssten sich. Seine Küsse waren süß und warm. In seinen Armen fühlte sie sich sicher und geborgen. Mit ihm, das wusste sie, wollte sie ihr ganzes Leben verbringen.
Doch das musste noch ein wenig warten. Er hatte an seinen Onkel und an seinen Schwager geschrieben und um ein Darlehen auf sein Erbe gebeten. Mit dem Geld wollte er staatlichen Boden in der Nähe von Liverpool südwestlich von Sydney kaufen. Das Land lag am George River, der in den Lake Moore floss.
An einem Sonntag hatte er sie heimlich abgeholt und sie waren dorthin gefahren. Ein großer Findling stand an der Einfahrt zum Grundstück.
»Ich will die Farm ›Crefeld‹ nennen, nach meiner Heimatstadt«, sagte er hoffnungsvoll. »Dort hinten werden wir ein Haus bauen.«
»Ich sehe es schon vor mir«, hatte Minnie geschwärmt. »Die Weinstöcke setzen wir da am Hügel, hinter dem Haus werde ich Gemüse ziehen. Es ist auch noch genügend Platz, um Obstbäume zu pflanzen.«
»Es wird unser Zuhause, unsere Zukunft, wenn ich das Geld bekomme.« Er seufzte. »Ich hoffe, mein Schwager macht bald die Anweisungen.Mit der Behörde habe ich schon gesprochen und auch den Antrag auf Einbürgerung gestellt.
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