Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
Amsinck will erst die Welt erkunden, bevor er sich bindet. Vielleicht möchte er schon vorher gewisse Kontakte in trockenen Tüchern haben, aber was soll ich mit jemandem, der durch die Weltgeschichte reist und nach technischem Fortschritt sucht?«
»Beide jungen Herren wären mögliche Geschäftspartner Eures Onkels.«
»Rickmers haben sogar Reismühlen gebaut und der Handel mit Asien floriert, das mag sein. Aber ich bin doch keine Kuh, die man versteigert.«
»Was ist mit dem dritten jungen Mann?«
»Lessing, Carl Gotthold Lessing.« Emilia dachte nach. Er hatte einen guten Eindruck auf sie gemacht. Endlich mal kein Geck, der sich mit bunten Hosen und neumodischen Bartfrisuren in Szene setzen musste. Er war ein nachdenklicher, ehrlicher Mann, jemand, der sein Schicksal ganz patent selbst in die Hand nahm. So schien es ihr zumindest. Sein Händedruck war angenehm fest gewesen, die Konversation mit ihm äußerst anregend. Sie mochte ihn. Aber er war lediglich ein Kapitän mit einem Schiff, das noch gebaut werden musste. Er würde unter eigener Flagge, auf eigene Verantwortung segeln. Sie war zwar nur ein Mädchen, aber so viel wusste sie nun doch vom Geschäft: Reich wurde man damit kaum. Um erfolgreich Fahrten vorzunehmen, bedurfte es eines guten Agenten, der einem für Hin- und Rückfahrt Ladungen verschaffte. Ihr Vater war ein Agent, er kaufte und verkaufte Ware. Er charterte Schiffe und Ladungen. Ihr Vater und Onkel Hinrich hatten aber auch mehrere Schiffe, die unter ihrer Flagge fuhren. Damit minderten sie die Risiken. Und da sie die Schiffe zum Selbstkostenpreis auf der eigenen Werft bauen konnten, war Gewinn eigentlich immer sicher. So wurde die Familie immer wohlhabender. Ein einzelner Kapitän, der für sich fuhr, konnte so etwas kaum erreichen.
Doch vielleicht hatte Lessing ja auch Größeres im Sinn? Ihr Onkel wollte zumindest mit ihm ins Geschäft kommen.
Lessing hatte sie auf irgendeine Weise beeindruckt. Und er würde zum Essen bleiben, somit hatte sie also die Chance, ihn besser kennenzulernen.
»Welches Kleid, Jule?«
»Das graue?«
Emilia schüttelte den Kopf. »Nein, das samtige, das dunkelblaue. Das mit dem feinen Spitzenkragen und dem tiefen Dekolleté.«
»Es steht Euch ausgezeichnet, aber Ihr tragt es doch nicht gerne?«
»Der Zweck heiligt die Mittel, und heute Abend möchte ich prachtvoll aussehen.«
Die Köchin hatte sich wahrhaft selbst übertroffen, die Dienerschaft ebenso. Heute wurde ein besonderer Gast erwartet – Herr William Lindley. Seine Frau hatte gerade einen Sohn entbunden und würde leider nicht mitkommen können. Lindley arbeitete immer noch in der Wasserwirtschaft und am Wiederaufbau der Stadt, hatte aber inzwischen eine große Reputation erworben und wurde zu fast jedem großen Bauprojekt in Europa angehört. Lindley und seine Frau Julia waren häufig bei den Bregartners zu Gast, inzwischen verband sie eine innige Freundschaft, und Tante Minna hatte sogar die Patenschaft für Lindleys erstes Kind übernommen.
Im Esszimmer funkelte und blitzte alles. Noch saßen die Gäste in der Diele und lauschten der Musik. Emilia schlich sich an ihnen vorbei und warf einen Blick auf die Tischkarten. Natürlich hatte die Tante sie zwischen Amsinck und Rickmers gesetzt. Lessing hatte den Platz neben Onkel Hinrich, wohl, damit sie ihre geschäftlichen Gespräche fortführen konnten, und Lindley saß neben der Tante. Kurzerhand tauschte sie die Platzkarten aus. Es kamen noch zwei weitere Ehepaare mit ihren Töchtern. Sollten die Mädchen sich doch mit Amsinck und Rickmers vergnügen, Emilia würde neben Lessing sitzen und somit gegenüber von Lindley.
Er war charmant, ein gebildeter Mann von Welt, sehr belesen und mit guten Umgangsformen. Seinen englischen Akzent, den Emilia als kleines Mädchen so seltsam gefunden hatte, hatte er nie ganz abgelegt. Inzwischen fand sie seine Art zu sprechen amüsant. Sie hatte Englisch gelernt und sprach die Sprache nun fließend, was den Ingenieur begeisterte. Ihm war nicht bewusst, dass sie mit ihm immer jenes Unwetter in Verbindung brachte. Und das Unwetter damals hatte all die Veränderungen und schließlich auch den Wegzug ihrer Eltern und ihres Bruders eingeläutet. Es war wie ein Meilenstein, eine Wegmarkierung in ihrem Leben. Lindley hatte ihren Onkel dahin gehend unterstützt, die Geschäfte auszuweiten.
Nein, er trägt keine Schuld, Vater und Onkel hatten das entschieden, auf ihre, Emilias Kosten, dachte sie, auch wenn niemand sonst
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