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Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Titel: Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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war sie in der Diele, als er den Brief überbrachte. Sie bat ihn in den kleinen Salon, ließ Kaffee und Kuchen bringen und fragte ihn nach seinen Kindern, mit denen sie in jungen Jahren so eng befreundet gewesen war. Mette war verheiratet und bekam schon das zweite Kind, hörte sie mit Erstaunen. Wie unterschiedlich sich doch ihr Leben entwickelt hatte. Grete Jörgensen war im letzten Winter verstorben. Da Emilia in diesem Sommer nicht in Othmarschen gewesen war, hatte sie keine Nachricht darüber erhalten. Der Gedanke an Gretes Tod schmerzte sie sehr, hatte die Frau sie doch wie ihr eigenes Kind behandelt.
    Ich sollte, sagte sie sich, nach Othmarschen fahren. Wie mochte es Inken und Mats ergehen? Inken war der Trost und die Stütze ihrer Kindertage gewesen, hatte immer eine gezuckerte Pflaume oder einen kandierten Apfel für sie bereitgehalten. Sie hatte sie vor Geistern und bösen Gedanken beschützt.
    Emilia faltete den Brief sorgsam zusammen und legte ihn in den Kasten auf ihrem Schreibtisch, in dem sie auch die Briefe ihrer Eltern aufbewahrte. Dann ging sie eine Etage tiefer zum Zimmer ihrer Cousine Mathilda.
    Jasper und Mathilda wurden vom Kindermädchen und vom Hauslehrer betreut. Jeden Morgen und an manchen Abenden wurden sieihrer Mutter vorgeführt und durften ein bisschen Zeit mit ihr verbringen. Tante Minna war stolz auf sie und sehr besorgt, aber viel Zeit verbrachte sie nicht mit ihnen.
    Am schönsten war es immer, wenn sie nach Othmarschen fuhren. Dort durften die Kinder über die Wiesen laufen, in der Remise und im Heuschober spielen, in der Küche naschen und so manches machen, was ihnen in der Stadt nicht möglich gewesen wäre. Natürlich musste das Kindermädchen immer sorgsam auf sie achten. Dennoch hatte Emilia ihnen heimlich in der Teufelsbek Schwimmen beigebracht, war mit ihnen auf die Apfelbäume geklettert und sie hatten die Gänse über den Deich gejagt.
    Sie liebte ihren Cousin und ihre Cousine von Herzen, versuchte möglichst viel Zeit mit ihnen zu verbringen, aber die Termine in Hamburg waren so eng geschnürt wie ihr Korsett.
    Oft ging sie abends vor dem Essen noch in die erste Etage und las den beiden etwas vor. Die Familie frühstückte gemeinsam, aber die anderen Mahlzeiten nahmen die beiden Kinder zusammen mit dem Kindermädchen ein. Hin und wieder wurden sie bei festlichen Gelegenheiten den Gästen vorgestellt und auch am Tiffin durften sie teilnehmen, um die Tischsitten von klein auf zu lernen.
    An diesem Tag gab es weder ein Tiffin noch kamen Gäste. Bregartners waren für eine Woche nach Lübeck gereist.
    Mathilda saß auf dem Fenstersitz und starrte auf die Straße.
    »Liebes, stimmt etwas nicht?«, fragte Emilia besorgt. Sie setzte sich neben das Mädchen und legte den Arm um ihre Schultern.
    »Nein. Es ist alles gut«, sagte Mathilda leise.
    »Das klingt aber nicht so. Hat dich jemand geärgert?«
    Mathilda schüttelte stumm den Kopf.
    »Mir kannst du es doch sagen.« Emilia zog das Kind enger an sich und vergrub ihre Nase in den weichen Locken, die nach Kamille dufteten.
    »Ach, Emma, diesen Sommer sind wir gar nicht rausgefahren auf das Gut. Stattdessen sind die Eltern immer unterwegs oder es sind Leute hier. Mutter hat kaum Zeit für uns. Und jetzt spricht sie immerwieder davon, dass du bald heiraten wirst. Wenn du weg bist, bin ich ganz allein.« Das Kind schniefte.
    Emilia hielt sie fest und wiegte sie hin und her. »Noch habe ich nicht vor zu heiraten. Ich bin doch erst siebzehn, es wird noch ein paar Jahre dauern, bis ich zum Altar schreite. Und so lange bin ich immer für dich da.«
    »Ja«, seufzte das Kind. »Aber irgendwann wirst du heiraten und uns verlassen. Dann sind Jasper und ich ganz allein.«
    Emilia zog es das Herz zusammen. Sie konnte die Pein des Kindes so gut nachvollziehen und schämte sich plötzlich dafür, dass sie sich so sehr nach England sehnte. Wenn ihre Eltern sie jetzt zu sich rufen würden, so müsste Emilia ihren Cousin und ihre Cousine zurücklassen, und sie wusste genau, wie schmerzlich das für die Kinder wäre.
    »Aber ihr werdet auch immer größer«, sagte sie hilflos, »und irgendwann braucht ihr mich nicht mehr.«
    »Aber jetzt brauchen wir dich«, sagte Mathilda und legte ihre Arme um Emilias Hals.
    »Und jetzt bin ich noch da.« Emilia überlegte. »Sollen wir uns in die Küche schleichen und schauen, ob die Mamsell etwas Leckeres für uns hat?«
    »Oh ja!« Mathilda sprang auf und strich ihren Rock glatt.
    Die beiden gingen hinunter

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