Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
verladen wurden und die Familie in die Kutschen einsteigen konnte. Immer noch lag Nebel über der Stadt, vermischt mit dem Rauch der unzähligen Kamine und Öfen. Es war fast windstill und immer tiefer schien sich die dreckige, stinkende Luft auf die Stadt zu legen, wie eine schwere Decke.
Doch kaum waren sie an Altona vorbei und querten Ottensen, wurde die Luft klarer, der Nebel lichter. Der Himmel blieb grau, aber die Schwaden verschwanden.
Inken hatte das Haus geputzt und gewienert. Die Mädchen hatten die Böden geschrubbt und geölt, das Messing der Türgriffe glänzte wie Gold. In der Stube stand schon der Tannenbaum, den Mats geschlagen hatte. Emilia ging langsam durch die vertrauten Räume und sog den Duft ihrer Kindheit ein. Dann ging sie in die Küche und begrüßte Inken herzlich.
»Kind, was bist du blass und schmal geworden. Geben sie dir in Hamburg nichts zu essen?«
Wie auf Bestellung wurde Emilia von einem Hustenanfall geschüttelt. »Ich war krank«, krächzte sie.
»Du bist immer noch krank, Emma«, sagte Inken besorgt. »Geh ins Bett, ich werde dir gleich einen Wickel fertigmachen.«
»Jeden Morgen und jeden Abend habe ich Brustwickel bekommen.«
»Mit was denn?«
»Kampfer, glaube ich.«
»Ach Kind, Kampfer zieht die Atemwege zusammen, dein Husten aber sitzt fest. Spitzwegerich sollte helfen. Gut, dass ich auch frischen Zwiebelhonig zubereitet habe. Davon nimmst du jetzt drei Löffel und heute Abend nochmals drei Löffel. Der Bursche soll dein Zimmer gut aufheizen, damit du es schön warm hast. Ich werde gleich dafür sorgen.«
Emilia würgte den Zwiebelhonig hinunter. Es schmeckte süß und scharf zugleich, aber sie wusste, dass diese Medizin ihr auch in der Kindheit immer bei Husten geholfen hatte. Warum war ihr das nicht früher eingefallen? Sie nahm sich vor, Inken nach den alten Kräuterund Heilrezepten zu fragen und sich eine Liste anzulegen. Die Mamsell kannte die Wirksamkeit von Zwiebelhonig wohl nicht.
Jasper und Mathilda tollten laut jauchzend zusammen mit Inkens Kindern im Hof umher. Tante Minna, die die unteren Räume inspiziert hatte, kam in die Küche. Onkel Hinrich folgte ihr. Noch bevor die Tante etwas sagen konnte, sprach der Onkel.
»Ganz hervorragend, gute Inken, hast du das alles für uns vorbereitet. Wir wollen ein ruhiges Weihnachtsfest verbringen, ohne großen Aufwand und Hetze. Ich möchte endlich mal wieder zur Ruhe kommen und so gemütlich feiern, wie wir es früher getan haben, ohne Tiffin und Diners und Kaffee trinken und Gesellschaften. Stattdessen deine gute Kost, das frische Brot und Erquickung an der frischen Luft.«
»Aber Hinrich«, empörte sich Wilhelmina.
Der Onkel seufzte. »Ich weiß, wie wichtig dir Gesellschaften sind,aber einmal im Jahr möchte ich friedlich und nur im Kreise meiner Familie feiern. Zu Silvester kehren wir ja zurück und du darfst deinen Ball geben.«
Wilhelmina nickte zufrieden. Dann schaute sie nach draußen und zog die Stirn gleich wieder in Falten. »Jasper und Mathilda …«
»Ja, herrlich. Endlich können sie sich austoben. Hier ist auch die Luft viel reiner als in der Stadt. Sind das etwa deine Kinder, Inken?«, fragte der Onkel.
Inken nickte.
»Gut, gut. Lass uns in den Salon gehen, Minna, und den Abend genießen. Ich habe einen herrlichen Bordeaux mitgebracht, den kann Mats gleich entkorken.« Er zog sie aus der Küche und Inken seufzte erleichtert auf.
Emilia hatte sich, so wie früher, auf die Küchenbank gesetzt. Ihr Reifrock störte und sie wünschte, sie könnte ihn ausziehen, aber solange Tante Minna dabei war, ging das nicht. Karamell stand an der Küchentür und winselte leise.
»Würde sie weglaufen?«, fragte Inken.
»Ich weiß es nicht, aber hoffentlich nicht. Ob sie die Gegend wiedererkennt? Aber sie möchte bestimmt auch toben und laufen, lass sie raus.«
Inken öffnete die Tür und der Hund sprang nach draußen. Er lief laut bellend um die Kinder herum, die begeistert quietschten und lachten.
Es gab ein frühes und leichtes Abendessen, an dem Emilia noch teilnahm. Doch um danach bei einem Glas Wein am Kamin zu sitzen, fehlte ihr die Kraft. Langsam stieg sie die Treppe hoch zur Mansarde. Ihr altes Zimmer, wie hatte sie es gehasst, wie sehr hatte sie sich im ersten Winter dort oben gefürchtet. Doch nun kam es ihr so vertraut vor, so heimelig, wie es keines der prunkvollen und großen Zimmer in Hamburg sein könnte.
Rieke hatte die Taschen und die Koffer schon ausgepackt. Wasser stand auf der
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