Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
reichen«, beruhigte Schneider Emilia. »Ihr müsst jedoch den Kopf heben.« Dann drückte er das Hörrohr auf ihre Brust. »Tief einatmen, Luft anhalten, ausatmen. Und noch einmal.« Er wiederholte den Vorgang an der anderen Seite, hieß sie sich vorbeugen und hörte auch den Rücken ab.
»Es ist ein festsitzender Husten, wie er in diesen Tagen oft vorkommt. Der Schleim sitzt fest und kann nicht entweichen. Deshalb seid Ihr auch so kraftlos.«
»Ist es schlimm?«, fragte Tante Minna.
»Wenn die ungesunden Säfte im Körper bleiben, wird dieser immer schwächer.«
»Was kann man dagegen tun?« Tante Minna presste ihr Taschentuch gegen den Mund.
»Ich würde sie zur Ader lassen.«
»Das klingt gut. Das sollten wir machen, damit die Körpersäfte wieder ins Gleichgewicht kommen.« Tante Minna eilte zur Tür. »Jule!«, rief sie.
Kurz darauf hörte Emilia die Mamsell im Flur mit Tante Minna sprechen.
»Jule hat uns verlassen, gnädige Frau.«
»Ach? Nun denn. Emma muss zur Ader gelassen werden. Bereiten Sie alles vor.«
Der Aderlass war eine übliche Methode, um Krankheiten zu bekämpfen, doch Emilia hatte sich dieser Prozedur noch nie unterziehen müssen. Bang stieg sie die Treppen hoch. Sie ging langsam und kam ganz erschöpft oben an. Rieke stand schon im Zimmer, hatte die Lampen angezündet und das Bett aufgeschlagen. Auf dem Schemel stand eine Schüssel, daneben ein Krug mit dampfendem Wasser und frische Leinentücher.
»Oh je«, jammerte Emilia. »Ich fürchte mich.«
»Het leeper kumm köön«, versuchte Rieke sie aufzumuntern.
Emilia sah sie entgeistert an. »Wie bitte?«
Rieke lachte. »Ach, manchmal verfall ik in dat Platt vun mien Omma, die snackt dat so. Aderlass ist halb so schlimm. Mien Onkel, dat is een feister Kerl, der hat es mit der Galle, der wird alle Wochen zur Ader gelassen und der högt schon immer druuf.«
Emilia amüsierte sich über das Mädchen, das mal so, mal so sprach. Doch dann erinnerte sie sich wieder daran, weshalb sie dort oben war. Seufzend ließ sie sich von Rieke aus dem Kleid helfen und zog ihr Nachtgewand an. »Tut es sehr weh?«, fragte sie flüsternd.
»Ach ne, das ist ein Ritz, ganz schnell geit dat. Wenn der Doktor sein Handwerk versteht, jedenfalls.« Rieke schaute sie nicht an und Emilias Furcht stieg. Ein Ritz? Doch da trat schon Doktor Schneider ins Zimmer, die Tante folgte ihm.
Ängstlich sah Emilia ihm entgegen. Er baute seine Tasche auf dem Tischchen auf und nahm Instrumente heraus. Emilia zwang sich, wegzusehen. Ihr wurde schwindelig.
»Bei Damen, und gerade bei so jungen Damen, bevorzuge ich einen Aderlass an der Wade. Wir wollen ja nicht die schönen Arme durch Narben entstellen.
Emilia stöhnte auf, Schneider sah sich zu ihr um. »Nur keine Sorge, mein liebes Fräulein, ich habe mein Skalpell frisch geschärft. Der Schnitt verheilt in der Regel gut und bald schon ist kaum noch etwas zu sehen. Aber Euch wird es bestimmt schnell bessergehen, wenn die giftigen Schleime mit dem Blut zusammen ausgeschwemmt werden.«
Emilia biss sich auf die Lippe. Der Arzt hob die Bettdecke an und nahm ihr linkes Bein. Die Tante stand neben dem Bett und achtete genau darauf, dass die Decke nicht zu weit angehoben, das Nachtgewand nicht zu sehr hochgeschoben wurde.
Rieke legte Leinentücher aus und brachte die Emailleschüssel. Es ging so schnell, dass Emilia gar nicht schreien konnte. Tatsächlich tat es im ersten Moment fast gar nicht weh. Sie hörte das Blut in die Schüssel plätschern, dann drückte Doktor Schneider auf die Wunde.»Ein Verband, viel Ruhe, kräftige Brühe und Wein mit verquirltem Ei, das sollte Euch wieder auf die Beine bringen.« Er wandte sich an Rieke. »Der Verband sollte täglich gewechselt werden und man halte möglichst jede Aufregung von ihr fern.«
»Über die Feiertage wollten wir nach Othmarschen auf unser Gut fahren«, sagte Tante Minna.
»Das ist wunderbar. Dort ist die Luft auch besser und die Ruhe so erholsam«, stimmte der Doktor dem Plan zu.
Als Emilia das Blut in der Schüssel sah, schwanden ihr kurz die Sinne. Doch dann hielt sie sich an dem Gedanken fest, dass sie Weihnachten zu Hause bei Inken sein würde.
10. K APITEL
Der Aderlass hatte Emilia nur noch mehr geschwächt. Sie konnte kaum aufstehen, auch das Gehen fiel ihr schwer, obwohl die Wunde gut verheilte. Sie fühlte sich kraftlos und der Husten quälte sie unvermindert weiter.
So war sie doppelt froh, als die Kisten und Kästen gepackt, die Koffer auf die Karren
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