Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
gingen sie vom Hafen zur Alster. »Doch erklärt mir eines: Was habt Ihr an Deck der ›Lessing‹ gemacht? Ich sah Euch die Planke hinablaufen. Ein sehr erfreulicher Anblick.« Er grinste.
»Oh.« Emilia schlug die Hand vor den Mund. »Das war so … ach, ich traue mich gar nicht, davon zu sprechen …«
»Mein liebes Fräulein, ich glaube einfach nicht, dass Ihr mir eine pikante Geschichte auftischt. Also?«
»Tine, das Mädchen – ich fürchte, sie hat eine Bekanntschaft mit einem der Matrosen der ›Lessing‹. Jedenfalls, als wir in den Hafen kamen, lief sie schnurstracks auf das Schiff und die Gangway empor. Karamell, meine Hündin«, Emilia zeigte auf den Hund, der friedlich an ihrer Seite lief, »folgte ihr. Da bin ich, als sie nicht wiederkamen, auch hoch.« Sie blieb stehen und schlug die Augen nieder. »Ohne nachzudenken. Das war so dumm von mir, so naiv.« Sie sah ihn wieder an. »Ich weiß, nun haltet Ihr nichts mehr von mir, gar nichts.«
Jenisch sah sie an. »Ich bin kein Trottel, mein wertes Fräulein. Warum sollte ich Euch nicht mehr wertschätzen?«, fragte er verblüfft.
»Ihr kennt Tine nicht. Sie erzählt allenthalben dummes Zeug. Immerzu. Und wer weiß, was sie diesmal erzählen wird. Ich habe sie gefunden und den Hund. Den Hund habe ich an die Leine genommen, aber Tine lief vor mir weg, ließ mich einfach dort oben stehen, inmitten all dieser stinkenden Matrosen.« Emilia verzog das Gesicht. »Ich habe mich so hilflos gefühlt und war so froh, Euch am Kai zu entdecken. Danke, dass Ihr mich nach Hause führt.«
»Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Wovor fürchtet Ihr Euch denn so?«
»Meine Tante«, wisperte Emilia. »Werdet Ihr mir beistehen?«
»Welch eine Frage.« Der junge Mann straffte die Schultern und ging forsch voran.
Als sollte er gegen Drachen antreten, dachte Emilia belustigt, aber auch froh. Ihre Tante hatte durchaus manchmal etwas von einem Drachen.
»Emma!«, rief Tante Minna auch wütend, als sie das Haus betraten. Dann stockte die Tante beim Anblick von Peter Jenisch. »Mein lieber Herr Jenisch …?«
»Ich habe Eure Nichte vom Hafen zurückbegleitet, da die Dienstmagd sich wohl davongemacht hatte. Eure Nichte war voller Furcht, so allein am Kai. Diese Magd ist vielleicht keine gute Wahl und Ihr solltet überlegen, ob Ihr sie weiter beschäftigt.«
Tante Minna sah ihn irritiert an. »Tine … nun … Tine«, stotterte sie.
»Tine ist einfach auf dieses Schiff gelaufen«, log Emilia und schämte sich im gleichen Moment. Das Mädchen würde die Stelle verlieren und Emilia hätte Schuld daran. Aber in ein paar Tagen, so hoffte sie, würde sie alles aufklären können. Sobald Carl sich ihrem Onkel erklärt hätte, würde alles gut werden. »Und Kara ist hinterher. Ich bin ihnen gefolgt. Aber da ist Tine schon wieder vom Schiff gelaufen. Ist sie hierhergekommen oder etwa auf Abwegen?« Emilia schlug die Augen unschuldsvoll auf.
»Tine ist hier. Sie hat mir eine ganz andere Geschichte erzählt«, brummte die Tante und sah unsicher zu Jenisch. »Eine ganz, ganz andere Geschichte.«
»Die würde ich gerne hören. Ich kann nämlich Fräulein Bregartners Worte von vorn bis hinten bezeugen!« Jenisch lächelte. »Lasst das Mädchen rufen.«
Tante Minna schüttelte den Kopf. »Wir wollen uns doch allen die Peinlichkeit ersparen. Herzlichen Dank, dass Ihr meine Nichte beschützt und begleitet habt. Alles andere werde ich klären.« Sie schnaufte.
»Dann verabschiede ich mich.« Er lächelte. »Für heute. Wenn ich darf, spreche ich morgen noch einmal vor, um mich nach Ihrem Wohl zu erkundigen, liebes Fräulein Bregartner.«
Sie nickte ihm dankbar zu. »Das war alles sehr aufregend, Tante. Ich möchte jetzt zu Bett gehen.«
»Nun gut, soll die Mamsell dir jemanden schicken. Ich rede mit Tine.«
Wieder überkam Emilia das schlechte Gewissen. Sie wollte nicht, dass Tine Probleme bekam, nur weil die Umstände so kompliziert waren. Aber dann dachte Emilia an Carl. Er wollte um ihre Hand anhalten. Er wollte sie heiraten. Er wollte das, was auch sie wollte – für immer vereint sein. Das Glück war kaum zu ertragen! Seufzend ließ sie sich in ihr weiches Bett fallen. Ihr wurde bewusst, dass, wenn sich ihre Träume erfüllten, dieser Luxus eines weichen Bettes und eines heißenBades, einer Dienstmagd und anderer Dinge bald der Vergangenheit angehören würde. Aber was war das schon im Vergleich dazu, dass sie mit ihrem Liebsten für immer vereint sein würde? Nichts,
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