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Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Titel: Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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erwartet, Emilia konnte es kaum aushalten.
    Jeden Tag ging sie mit Karamell zum Hafen. Manchmal traf sie den alten Lotsen Jörgensen, aber auch der wusste nicht, wann die »C. F.Lessing« ankommen würde. Sehnsuchtsvoll schaute sie die Elbe entlang, und die Tage vergingen.
    Anfang Oktober zogen dunkle Wolken auf, ein Sturm schien sich über der Nordsee zusammenzubrauen.
    »Das Barometer fällt und fällt«, sagte Onkel Hinrich besorgt und klopfte gegen den Messingrahmen. »Das wird doch wohl keine Sturmflut werden?« Erst im Januar des letzten Jahres hatte ein schwerer Sturm die Küste verwüstet und viele Schäden im Hafen von Wilhelmsburg angerichtet.
    Der Regen prasselte gegen die Fensterläden, der Wind nahm immer mehr zu.
    »Ich werde zur Werft gehen und nach dem Rechten sehen«, brummte Onkel Hinrich.
    »Doch nicht bei dem Wetter«, meinte Tante Minna besorgt.
    »Ich ziehe den Mackintosh über.« Er stapfte hinaus, den Kragen hochgezogen und den Hut fest auf dem Kopf.
    Die ganze Nacht über regnete es, der Wind heulte in den Gassen. Emilia lag voller Sorge in ihrem Bett. War es auf See auch so stürmisch? Wo mochte Carl sein? Und würde es tatsächlich eine Sturmflut geben?
    Gegen Morgen ließ der Wind nach und Emilia schlief ein. Die Sonne strahlte von einem reingewaschenen Himmel in tiefem Indigoblau. In den Straßen sah man herabgefallene Ziegel, abgerissene Äste und Zweige, doch das Wasser war nicht über die Deiche getreten, die Schäden nicht allzu groß. Der Herbst hatte deutlich Einzug gehalten, die Luft war kühl.
    Emilia zog ihren Mantel an und pfiff den Hund herbei. Ihre Tante schlief noch und der Onkel war gerade erst von der Werft heimgekehrt, wo er die Nacht verbracht hatte. Er ließ sich Wasser erhitzen, wollte ein heißes Bad nehmen.
    Wie immer ging Emilia durch die Straßen bis hinunter zum Hafen. Im Wasser schwammen allerlei Unrat, Balken und andere Dinge. Ein kleines Segelboot hatte Schaden genommen, es wurde zum Dock geschleppt. Emilia lief den Anleger entlang, ihre Augen fuhren suchendüber die Masten, doch die »Lessing« hatte der Sturm nicht in den Hafen getrieben. Sie ging weiter hinaus, an der Elbe entlang. Dort hinten, da, wo es so aussah, als würde das Meer beginnen, entdeckte sie ein Segel. Sie kniff die Augen zusammen, suchte es am Horizont. Hatte sie es sich nur eingebildet? Doch dann tauchte es wieder auf, winzig klein, wie ein Taschentuch in der Ferne. Sie blieb stehen, achtete nicht auf die Zeit und ihre Umgebung. Ihr Herz pochte. Sollte das endlich die »Lessing« sein? Der eisige Wind aus dem Norden schien das Schiff quälend langsam auf sie zuzutreiben. Nach über einer Stunde sah sie immer noch nicht viel mehr als die Topsegel. Welches Schiff es war, würde noch lange nicht zu erkennen sein. Enttäuscht drehte sie sich um und ging nach Hause.
    Es dämmerte schon, als sie wiederum den Hund an die Leine legte.
    »Du willst noch einmal raus?«, fragte Tante Minna.
    »Die Luft ist so herrlich klar und frisch nach dem Sturm«, sagte Emilia. »Ich will auch nicht weit.«
    »Es wird schon dunkel, Kind. Das ist keine gute Idee.«
    »Ach, liebe Tante, bitte.« Emilia lächelte, so herzlich sie konnte. »Ich weiß, dass Herr Rickmers ein Schiff erwartet und im Hafen sein wird.« Sie zwinkerte der Tante zu. »Ich dachte, ich treffe ihn vielleicht zufällig.«
    »Wenn das so ist.« Die Tante zwinkerte zurück. »Aber nimm Tine mit.«
    Mit dem neuen Mädchen war Emilia nicht richtig warm geworden. Tüchtig war sie schon, aber ihr fehlte die natürliche Herzlichkeit, die Rieke ausgezeichnet hatte.
    Tine murrte: »Kalt ist es geworden. Bei dem Wetter um diese Zeit ohne Not auf die Straße zu gehen, das ist doch verrückt.«
    »Dann schleich dich ums Haus und durch den Kücheneingang wieder rein«, seufzte Emilia.
    »Ne, ne, ne. Hinterher passiert Euch noch etwas und ich bin schuld. Das mach ich nicht, bin ja nicht blöd.« So trottete sie hinter Emilia her.
    Der Weg erschien Emilia auf einmal so lang, ihr konnte es nichtschnell genug gehen. Sollte tatsächlich die »Lessing« angekommen sein?
    Und ja, da lag sie, die »C. F. Lessing« mit »Fallen Anker«.
    Ein unruhiges Treiben herrschte an Bord. Die Hauptladung würde erst am nächsten Tag gelöscht werden, doch die Matrosen brachten ihr Zeug schon von Bord. Der Hafenarzt hatte also das Schiff bereits kontrolliert und freigegeben.
    Zögernd blickte sie nach oben. Vom Kai aus war kaum etwas an Deck zu erkennen. Wo war Carl? Er würde

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