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Die Auswahl. Cassia und Ky

Titel: Die Auswahl. Cassia und Ky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Condie
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erfahren, was die rote Tablette bewirkt.
    »Behalten Sie die rote Tablette in der Hand und übergeben Sie Funktionärin Standler« – er zeigt auf meine Funktionärin, die eine viereckige Plastikkiste trägt – »Ihre Behälter. Sobald wir hier fertig sind, erhalten Sie einen neuen Behälter und ein neues Set Tabletten.«
    Wieder gehorchen wir. Genau wie alle anderen auch, werfe ich den kleinen Metallzylinder in die Kiste, sehe meiner Funktionärin aber nicht in die Augen.
    »Und jetzt nehmen Sie bitte die roten Tabletten ein. Funktionärin Standler wird die korrekte Einnahme überprüfen. Es gibt keinen Grund zur Sorge.«
    Immer mehr Polizisten treffen ein. Sie patrouillieren die Straße entlang und stellen sicher, dass alle, die bislang nicht auf die Straße gestürzt waren, in ihren Häusern bleiben. Unsere Gruppe, etwa zwölf Leute an der Airtrain-Haltestelle, wird isoliert – eine Handvoll Menschen, die wissen, was heute in der Ahorn-Siedlung und an anderen Orten im ganzen Land geschehen ist. Ich kann mir denken, dass der Transport anderswo reibungsloser verlaufen ist. Wahrscheinlich haben nicht viele der anderen Aberrationen hochrangige Familienangehörige, die wissen, was in Wirklichkeit vor sich geht. Und nicht einmal Patrick Markham konnte irgendetwas unternehmen, um seinen Sohn zu retten.
    Und ich bin an allem schuld. Ich habe weder Gott noch Engel gespielt, sondern Funktionärin. Ich habe mir angemaßt zu beurteilen, was das Beste sei und damit das Leben eines anderen beeinflusst. Egal, ob die Daten mir recht geben oder nicht – am Ende habe ich allein die Entscheidung getroffen. Und dazu der Kuss …
    Ich kann mir jetzt nicht erlauben, an unseren Kuss zu denken.
    Ich blicke hinunter auf die rote Tablette, die winzig klein in meiner Hand liegt. Selbst wenn sie den Tod bedeutet, wäre sie mir jetzt willkommen.
    Nein, halt. Ich habe es Ky versprochen. Ich habe hinauf zum Himmel gezeigt und es ihm versprochen. Und jetzt, nur wenige Augenblicke später, will ich schon aufgeben?
    Ich lasse die Tablette klammheimlich zu Boden fallen. Einen Augenblick lang liegt sie leuchtend rot im Gras, und ich denke
     daran, wie Ky dieses Rot als Farbe der Geburt und des Neubeginns interpretiert hat.
Ein Neuanfang
, sage ich zu mir selbst, bewege meinen Fuß nur wenige Millimeter und zermalme die Tablette. Sie blutet unter meiner Fußsohle. Das erinnert mich daran, wie ich Kys Gesicht auf der anderen Seite des Raumes im Spielcenter gesehen und im selben Moment versehentlich den verlorenen Tablettenbehälter zertreten habe.
    Doch als ich jetzt aufblicke, ist er nirgendwo zu sehen.
    Niemand ist bis jetzt der Aufforderung gefolgt. Obwohl der Funktionär der ranghöchste ist, den wir je gesehen haben und er es uns befohlen hat, lähmen uns die ständigen, beunruhigenden Gerüchte.
    »Möchte jemand den Anfang machen?«
    »Ich«, sagt meine Mutter und geht einen Schritt nach vorn.
    »Nein!«, rufe ich, aber ein Blick meines Vaters bringt mich zum Schweigen. Ich weiß, was er mir sagen will.
Sie tut das für uns. Für dich.
Irgendwie weiß er, dass nichts passieren wird.
    »Ich auch«, sagt er und tritt neben sie. Gemeinsam, von allen beobachtet, schlucken sie ihre Tabletten herunter. Die Funktionärin kontrolliert die Münder meiner Eltern und nickt kurz. »Sie lösen sich innerhalb von Sekunden auf«, erklärt sie uns. »Zu schnell, als dass Sie sie ausspucken könnten, aber das ist sowieso unnötig. Sie schadet Ihnen nicht. Sie hilft Ihnen nur, zu vergessen.«
    Sie hilft Ihnen nur, zu vergessen.
Natürlich! Ich weiß, warum wir sie nehmen sollen. Damit wir vergessen, was mit Ky geschehen ist, damit wir vergessen, dass der Feind in den Äußeren Provinzen die Oberhand gewinnt und die ehemaligen Bewohner der Region alle tot sind. Und ich verstehe auch, warum wir die Tabletten nicht schlucken sollten, nachdem der kleine Sohn der Markhams gestorben war – wir sollten uns stets daran erinnern, wie gefährlich Anomalien sein können. Wie verletzlich wir wären, wenn uns die Gesellschaft nicht vor ihnen schützen würde.
    Haben sie die Anomalie damals absichtlich ausgeschickt? Um uns daran zu erinnern?
    Welche Geschichte werden sie später über Ky erzählen? Welche werden wir alle für die Wahrheit halten? Werden wir als Nächstes die grüne Tablette schlucken, um uns nach dem Vergessen zu beruhigen?
    Ich will nicht mehr ruhig sein. Ich weigere mich, zu vergessen.
    So weh es tut – ich muss mich an seine ganze Geschichte

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