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Die Auswahl. Cassia und Ky

Titel: Die Auswahl. Cassia und Ky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Condie
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unternehmen kann.
    Wir halten uns einen Moment in den Armen. Dann löse ich mich von Bram und sehe ihm in die Augen. »Hol sie«, sage ich zu ihm. »Hol sie und sieh sie dir in den letzten Minuten, in denen du sie noch hast, genau an. Präg dir ihr Aussehen ganz genau ein, damit du dich an sie erinnerst. Du musst dich an sie erinnern!«
    Bram versucht jetzt gar nicht mehr, die Tränen in seinen Augen zu verbergen.
    »Bram«, dränge ich und umarme ihn noch einmal. »Bram. Mit der Uhr hätte auch ohne die Funktionäre etwas passieren können. Du hättest sie verlieren können. Sie hätte kaputtgehen können. Aber jetzt kannst du sie dir noch ein letztes Mal ansehen. Du verlierst sie nicht, solange du dich an sie erinnerst.«
    »Soll ich nicht versuchen, sie zu verstecken?«, fragt Bram. Er blinzelt, und eine Träne kullert aus seinen Augen. Ärgerlich wischt er sie weg. »Kannst du mir helfen?«
    »Nein, Bram«, antworte ich leise. »Ich wünschte, wir könnten etwas dagegen tun. Aber es ist zu gefährlich.« Auch das, was ich riskiere, hat seine Grenzen. Brams Sicherheit setze ich nicht aufs Spiel.

    Als die Funktionäre unser Haus erreichen und hereinkommen, finden sie Bram und mich nebeneinander auf dem Sofa sitzend vor. Bram hält Silber, ich Gold in den Händen. Wir schauen beide auf. Doch dann huscht Brams Blick wieder zu dem glänzendpolierten Silbergegenstand in seinen Händen zurück, und ich blicke hinunter auf den goldenen in meinen.
    Ich sehe in mein eigenes Gesicht, das durch den gewölbten Deckel der Puderdose ein wenig verzerrt ist, genau wie vor dem Paarungsbankett. Damals habe ich mich gefragt, ob ich hübsch aussehe.
    Jetzt frage ich mich:
Sehe ich stark aus?
    Als ich meine Augen und mein entschlossen vorgerecktes Kinn betrachte, scheint mir die Antwort ein klares
Ja!
zu sein.
    Ein kleiner Funktionär mit lichtem Haar ergreift zuerst das Wort: »Die Regierung hat beschlossen, dass Artefakte die Ungleichheit zwischen den Bürgern verstärken«, sagt er. »Daher werden in jeder Stadt alle Artefakte eingefordert, um in den Museen katalogisiert und ausgestellt zu werden.«
    »Laut unserem Register befinden sich zwei legale Artefakte hier im Haus«, fügt ein hochgewachsener Funktionär hinzu. Betont er das Wort »legal« oder bilde ich mich das nur ein? »Eine silberne Uhr und eine goldene Puderdose.«
    Ich sage nichts. Bram auch nicht.
    »Sind das die beiden Artefakte?«, fragt der fast glatzköpfige Funktionär mit einem Blick auf unsere Objekte. Er sieht erschöpft aus. Das muss eine fürchterliche Aufgabe sein. Ich stelle mir vor, wie mein Vater den Leuten ihre Artefakte wegnimmt – alten Leuten wie Großvater, Kindern wie Bram – und mir wird schlecht.
    Ich nicke. »Wollen Sie sie sofort haben?«
    »Sie können sie noch ein paar Minuten behalten. Wir haben den Auftrag, erst noch das Haus zu durchsuchen.«
    Bram und ich bleiben still nebeneinander sitzen, während sie in unserem Haus herumschnüffeln. Es dauert nicht lange.
    »Hier gibt es nichts Wertvolles«, sagt der eine leise zum anderen.
    Mein Herz brennt, und ich presse die Lippen fest aufeinander, damit ich diese Funktionäre nicht mit den Flammen verbrenne.
Das glaubt ihr
, denke ich.
Ihr glaubt, hier gäbe es nichts, weil wir uns nicht wehren. Aber in unseren Köpfen sind Worte, von denen niemand etwas weiß. Und mein Großvater ist nach seinen Bedingungen gestorben, nicht nach euren. Wir besitzen Wertvolles, aber ihr werdet es niemals finden, weil ihr nicht mal wisst, wonach ihr suchen müsst.
    Sie kommen wieder ins Wohnzimmer, und ich stehe auf. Bram folgt meinem Beispiel. Die Funktionäre fahren mit Messinstrumenten unsere Körper entlang, um sicherzugehen, dass wir dort nichts versteckt haben. Natürlich finden sie nichts.
    Eine Funktionärin, die auch dabei ist, geht einen Schritt auf mich zu, und ich sehe einen schmalen blassen Hautstreifen an ihrem Finger, wo ein Ring gesteckt haben muss. Auch sie hat heute etwas verloren. Ich halte ihr die Puderdose hin und denke daran, wie mein Artefakt aus einer Zeit lange vor der Gesellschaft bis hierhin gereist ist, von einem Familienmitglied zum nächsten, bis zu mir. Und jetzt muss ich mich davon trennen.
    Die Funktionärin nimmt mir die Puderdose weg und anschließend Bram die Uhr. »Sie können sich Ihre Sachen im Museum ansehen. Jederzeit.«
    »Das ist nicht dasselbe«, erwidert Bram und strafft seine Schultern. Und da sehe ich Großvater in ihm, ganz gewiss. Mein Herz geht auf bei dem

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