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Die Auswanderinnen (German Edition)

Die Auswanderinnen (German Edition)

Titel: Die Auswanderinnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: helga zeiner
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zurück, aber es gab kein Entkommen. Der Engel berührte sie! Es war ein großer, mächtiger Engel mit schwarzen Flügeln. Er war hässlich und hatte ein narbiges Gesicht. Obwohl er hinter ihr stand, wusste sie, wie er aussah, sie spürte seine Hässlichkeit. Sie wollte noch immer zurück auf festen Boden, zurück ans Licht und in die Freiheit, aber die schwarzen Schwingen schlossen sich um sie. Wie eine Klammer, die sie gefangen hielt. Es gab kein Entkommen. Sie war in dem dunklen Hohlraum gefangen, wie in einem Rohr, in dem sie sich drehen und wenden konnte, ohne eine Öffnung zu finden. Der Engel, der so widerlich wie ein Teufel war, roch ranzig. Sein Schweiß mischte sich mit dem ihren, aber sie wusste, dass es nur seine Ausdünstung war, die so süßlich widerwärtig roch. Sie konnte nicht schreien, hatte nicht einmal genug Luft, um zu atmen. Der Engel-Teufel hatte plötzlich auch Hände, die er auf ihren Mund presste. Sie wand sich, warf sich hin und her, wehrte sich mit aller Kraft. Vergeblich! Sie hatte die Augen geschlossen, um das Monster nicht sehen zu müssen, aber es gab keine Gnade. Alles, was eklig und hässlich war, bohrte sich durch ihre Lider hindurch und schien ihr so klar, so real und widerlich, dass es ihr den Atem raubte. Sie schlug um sich, panisch, als ginge es um ihr Leben. Sie legte alle Kraft in ihre Schläge, wand und drehte sich in der tödlichen Umarmung, klammerte sich an etwas, hielt es fest in ihrer Hand und schlug zu ... einmal, zweimal, so fest sie nur konnte.
    Dann wurde es Nacht um sie.

Kapitel 38
     
     
    Lightning Ridge, heute
     
    Um neun Uhr abends war Jo Ann mit ihren Vorbereitungen fertig. Sie hatte das Gefrierfach im Kühlschrank abgetaut, Lebensmittel und Getränke bei den Nachbarn abgegeben, Küche und Bad gereinigt, ihre besten Kleidungsstücke in einen Koffer gepackt und ihre privaten Unterlagen in einer Holzkiste verstaut, die sie vor der Abfahrt noch vor die Pubtür stellen wollte. John sollte die Kiste bis zu ihrer Rückkehr, an die er fest glaubte, für sie aufbewahren. Jo Ann wusste, dass sie nie wieder nach Lightning Ridge zurückkehren würde. Die Kiste diente nur dem einen Zweck, nicht mit John diskutieren zu müssen. Obendrauf hatte sie ihm einen Zettel mit Anweisungen geklebt. Er möge bitte Strom und Telefon abbestellen. Die dafür nötigen Unterlagen heftete sie mit dazu, ebenso einen Umschlag, in den sie am nächsten Morgen noch die Schlüssel für Haus und Werkstatt legen würde, zusammen mit dem Rest ihrer Ersparnisse, die sie auf dem Nachhauseweg von der Bank abgehoben hatte. Tiger sollte gut versorgt sein, und sie wollte John nichts schulden. Vor allen Dingen wollte sie ihn nicht noch einmal sehen müssen. Sie hatte nicht die Kraft, ihm Lebewohl zu sagen und dabei in seinen Augen zu lesen, was zwischen ihnen hätte sein können. Nein, ein Abschied von Angesicht zu Angesicht würde alles nur noch schmerzlicher machen, und deshalb hatte sie sich für die heimliche Flucht im Morgengrauen entschieden.
    Bens Tod hatte ihr mühselig aufgebautes Leben mit einem Schlag vernichtet. Geblieben waren Gleichgültigkeit, Resignation und die Erkenntnis, sich getäuscht zu haben. Ihre Entscheidung, bei der Mine zu bleiben, war ein Irrtum gewesen. Sie hätte damals nach Deutschland zurückgehen sollen wie Isabella, als sie noch jung genug gewesen war, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Oder nach Sydney wie Eva, die in einer neuen Partnerschaft ihr Glück gefunden hatte. Aber es war müßig, darüber nachzudenken, was gewesen wäre, wenn.
    So war das Leben eben! Umkehren, neue Wege suchen, all das half im Nachhinein nichts mehr. Jede Kreuzung des Lebens, jede Entscheidung barg folgenschwere Konsequenzen, die nicht mehr rückgängig zu machen waren.
    Sie begann ihre Bücher durchzusehen. Vielleicht würde sie einige mit nach Sydney nehmen, oder sie Eva schenken, zum Dank dafür, dass sie die nächsten Tage bei ihr wohnen durfte. Oder sogar etwas länger. Vielleicht würde es sich über Wochen hinziehen, bis man sie festnahm, schließlich konnte man in den Filmen oft genug sehen, wie konfus und kompliziert die Gerichte arbeiteten.
    Der Stapel mit den ausgewählten Büchern war bereits so hoch, dass er zu kippen drohte, als es an der Tür klopfte. John!? Mit gemischten Gefühlen öffnete sie die Tür. Aber es war nicht John, der auf der Eingangsschwelle stand, sondern Mira. Grinsend stand sie mit weit ausgebreiteten Armen vor ihr und schwenkte in jeder Hand ein

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