Die Auswanderinnen (German Edition)
jetzt werden wir endlich eine wirkliche Chance haben! Ach, hör schon auf.“ Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie sah, wie Jo Ann zu weinen begann. „Hör auf, das ist ansteckend und kollektives Geflenne kann ich absolut nicht ausstehen.“
Jo Ann presste die Hände vors Gesicht und schüttelte ihren Kopf. Es war einfach zu viel. Sie war doch schon am Boden, warum musste das Schicksal sie jetzt auch noch verhöhnen?
Mira deutete ihre Tränen falsch. „Ist ja gut. Beruhige dich. Alles wird gut. Wir werden Partner. Wir werden gigantische Opalfelder finden. Wir werden gemeinsam reich, glaub mir ...“ Ihr fielen ihre alten Gegenargumente ein. „Ich weiß, ich habe gesagt, dass ich es nie lange hier aushalten werde. Aber unter diesen Umständen ...“
„Nein!“ Jo Ann schüttelte heftig den Kopf. „Es ist sinnlos. Du darfst mich nicht in deine Pläne mit einbeziehen. Es ist alles vorbei.“ Langsam beruhigte sie sich wieder und wischte sich mit einem Taschentuch über die nassen Wangen. Nur ihre Hände zitterten noch.
Mira ließ ihr Zeit. Sie trank ihre Bierdose leer, öffnete eine zweite und wartete. Als sich Jo Ann genügend gesammelt hatte, begann sie, Mira ihre Geschichte zu erzählen.
Sie gestand ihr alles. Angefangen von dem Tag an, an dem sie Kurt kennengelernt hatte. Sich in ihn verliebt hatte. Mit ihm ausgewandert war. Von ihrer Freundschaft mit den anderen Deutschen, auf dem Schiff und später in Sydney. Von den ersten Quälereien, die sich Kurt ausgedacht hatte, bis hin zu dem Tag, an dem er sich an Isabella vergriffen hatte und von ihr erschlagen worden war.
Es ließ sich auf einmal ganz leicht erzählen. Satz für Satz fügten sich die Ereignisse wie die einzelnen Metallglieder einer langen Kette zusammen, deren Gewicht immer leichter zu werden schien. Bis sie schließlich mit der Erklärung endete, warum sie nach Sydney gehen und sich stellen wollte. „Verstehst du mich?“, fragte sie Mira.
„Natürlich“, sagte Mira. „Du glaubst, dass Isabella die Wahrheit nicht verkraften und an ihrer Schuld zerbrechen würde. Und dass du dich selbst damit für immer von der Vergangenheit befreien kannst.“
„Genau.“
„Bist du dir sicher, dass du das kannst? Es wäre ein Jammer, wenn du dich grundlos opfern würdest.“
„Ich opfere mich nicht. Zumindest dachte ich bis vor wenigen Augenblicken noch, dass mein Leben sowieso keine Perspektive mehr hat und es keine lebenswerte Zukunft mehr für mich gibt. Dein Angebot macht mich traurig, weil es schön gewesen wäre, mit dir nach Opalen zu graben, aber dafür ist es jetzt zu spät.“
Und Mira verstand tatsächlich. Nachdenklich drückte sie ihren Zigarettenstummel in die leere Bierdose, zündete sich eine neue an und blies kleine Rauchringe in die Luft, ehe sie sagte: „Ich werde dich nicht umstimmen können, dafür kenne ich dich zu gut. Du bist ein Sturschädel! Dennoch denke ich, dass wir abwarten sollten, was wirklich in Sydney passiert. Du musst mir versprechen, Kontakt zu halten und dich täglich bei mir oder John zu melden.“
Jo Ann umarmte Mira und versprach es. Danach hingen sie jeweils schweigend ihren Gedanken nach. Mira träumte von Jo Anns Freispruch wegen Notwehr oder Unzurechnungsfähigkeit. Und Jo Ann träumte davon einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen.
Kapitel 39
Lightning Ridge, damals
Kurt hatte Jo Ann am Morgen erlaubt, noch diesen einen Tag mit Eva zu verbringen. „Heute noch“, hatte er ihr zum Abschied zugeflüstert. „Aber morgen früh sitzt sie entweder im Zug oder kann sich im Pub amüsieren. Das ist mir scheißegal. Du kommst auf jeden Fall morgen wieder mit in die Mine. Heute kann ich dich nicht gebrauchen. Aber ab morgen gehörst du wieder mir. Ganz und gar mir!“
Er hatte sie dabei nicht berührt und ihr auch sonst nichts getan, aber sie war zu Tode erschrocken. Seine sadistische Gier war zu lange unterdrückt gewesen und würde sich nun fürchterlich entladen. Sie war sein einziges Opfer. Ihre Hände zitterten noch eine Stunde nachdem er in die Mine gefahren war unkontrollierbar, und ihre Lungen sogen übertrieben hektisch und flach die Luft ein.
Der Gedanke, morgen wieder in die Mine zu müssen und nicht zu wissen, was für neue Schikanen er sich für sie ausgedacht hatte, war weitaus schwerer zu ertragen, als es gleich hinter sich zu bringen. Hätte sie doch nur schon heute mit ihm gehen können! Dann wäre er vielleicht auch nicht so böse mit ihr und würde eher darüber
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