Die Auswanderinnen (German Edition)
danke, da nahm sie schon lieber morgen den Zug. Und vielleicht würde sie Eva ja sogar dazu überreden können, mit ihr zu kommen, dann wäre die Fahrt nicht so langweilig.
Isabella wandte sich in die von Dieter angedeutete Richtung und stapfte los. Die Mine konnte nicht weit sein und die Temperatur war so früh am Morgen noch mild und angenehm. Hoffentlich würde Kurt sie gleich zum Haus zurückfahren, und nicht darauf bestehen, dass sie bis zum Abend bei der Mine bleiben musste.
Sie fröstelte, weil sie nicht daran gedacht hatte, eine Jacke überzuziehen. Warum auch? Im Auto war es immer so warm, und es war am Vortag so schwül gewesen, sie hatte ihre Jacke in den Koffer gepackt. Und mit diesem im Kofferraum waren nun diese Volltrottel unterwegs. Es war noch ziemlich kalt. Sie schlang ihre Hände um ihre Oberarme und rieb sich über die nackte Haut. Es war doch schon neun Uhr morgens, warum war es denn noch so frisch? Das Gras war feucht und tropfte auf ihre Sandaletten. Igitt, hoffentlich kein Ungeziefer! Sie musste quer durch den Busch wandern. Der Bohrturm auf Kurts Mine war ihr Wegweiser, er war der einzige weit und breit, und sie konnte ihn nicht verfehlen. Hoffentlich keine Schlangen. Oder Skorpione. Es sollte sogar Skorpione hier geben! Warum trug sie ein so dünnes Kleid? Warum hatte dieser Idiot sie aus dem Wagen geschmissen, in dieser Kleidung? Sogar ihre Handtasche war noch im Auto. Sie würde sich von Eva das Geld für die Zugfahrt leihen müssen. Es war eine Zumutung, sie so durch die Wildnis laufen zu lassen. Wenn sie wieder in Sydney war ... meine Güte, das würde er büßen müssen. Bei diesem Gedanken wurde ihr wärmer.
Der stählerne Turm hatte anfangs so nah gewirkt. Dieter hatte bestimmt nicht vermutet, dass sie über eine Stunde durch das Dickicht stolpern würde, ohne ihm deutlich näher zu kommen. Aber immerhin vertrieben die Anstrengung und die steigende Sonne endgültig die Kälte aus ihren Gliedern.
Diese verfluchten Sträucher zerkratzten ihr die ganzen Waden, denn der Saum ihres Kleides ging nur knapp übers Knie; auch ihre Arme waren bereits mit feinen roten Striemen überzogen. Ein Wunder, dass sie nicht blutete. Bitte, bloß kein Blut! Es würde Tiere anlocken, es gab doch wilde Tiere im Busch! Sie begann schneller zu laufen. Ihr Atem ging stoßweise, und Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Oberlippe und auf ihrer Stirn.
Als sie die Mine fast erreicht hatte, war ihr Kleid unter den Achseln und an der Taille bereits ganz feucht. Es war ein locker geschnittenes Baumwollkleid mit leicht gerafftem Rock und einem ärmellosen runden Ausschnitt, der ihren Busenansatz nur zeigte, wenn sie sich weit nach vorne beugte. Dunkelblau, mit winzigen weißen Blümchen, die wie Enziane aussahen. Deshalb hatte sie es gekauft.
Isabella war noch immer wütend auf Dieter, auf alle Männer, auf das Leben und auf sich selbst. Vor allem auf sich selbst. Warum hatte sie Dieter nur so hart geschlagen? Was war nur los mit ihr? Warum nur fühlte sie diese Aggression und diesen blindwütigen Zorn in sich?
Die Mine lag jetzt direkt vor ihr. Sie musste nur noch eine kleine Böschung überwinden. Und wenn Kurt auch nur ein einzige kritische Bemerkung machen und Dieter in Schutz nehmen würde, würde sie wieder kehrtmachen und zur Straße zurücklaufen. Sie war froh, die Mine endlich erreicht zu haben. „Kurt“, rief sie verärgert und erleichtert zugleich, „Kurt, wo bist du?“
Es war still. Keine Maschine war in Betrieb. Sie rief noch einmal nach Kurt, ging näher zum Einstiegsloch und lauschte. Keine Antwort. Eine undefinierbare Ahnung stieg plötzlich in ihr auf und ängstigte sie so sehr, dass sich ihre Arme mit Gänsehaut überzogen. Wie sagten die alten Frauen zu Hause dazu? Ein Engel läuft übers Grab.
Ihr wurde schwindlig. Der lange Marsch in der Hitze, ohne einen Tropfen zu trinken, ihr bohrender Hass auf Dieter und die permanenten Selbstanklagen, die wie hässliche Insekten in ihrem Kopf herumschwirrten, forderten ihren Tribut!
„Kurt ...“
Ihr Kopf war leicht und leer. Sie griff nach der Leiter, beugte sich über den Einstieg und wollte noch einmal rufen. Das Loch wurde breiter, die zerfallenen Wände dehnten sich, glitten immer weiter nach außen, und der Schlund wurde unendlich. Ihre Kehle war von der Trockenheit ganz rau. Sie wollte sich an die Leiter klammern, griff aber daneben, ruderte durch die abgestandene Luft über der endlosen Tiefe, wollte sich halten. Zurück, nur
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