Die Auswanderinnen (German Edition)
konnte nicht feststellen, woher es gekommen war, und hatte dunkelbraune Linien über sein Gesicht, den Hals und den Oberkörper gezogen. Es hatte sich mit Lehm vermischt, war eingetrocknet, und wirkte wie eine Kriegsbemalung. Ein gefallener Kämpfer! Bis auf die Augenhöhlen mit den blinden Augen war sein Gesicht fast bis zur Unkenntlichkeit verschmiert. Hatte er sich zuletzt noch die Augen gerieben und vom Dreck und Blut befreit, ehe er gestorben war? Was hatte er wohl als Letztes gesehen?
„Natürlich ist er tot“, stellte sie sachlich fest. „Schon eine ganze Weile. Das weißt du doch. Sieh ihn dir doch an.“
Eva wollte sich den Anblick ersparen, aber ihre Neugier war schließlich stärker als ihre Scheu, und so ließ sie einen flüchtigen Blick über den Leichnam streifen. Sie hatte noch nie zuvor eine Leiche gesehen, und Kurt wollte sie in diesem Zustand schon gar nicht sehen. So klobig und leblos, ein regloser Hügel aus Fleisch und Blut und Staub und Fliegen. Bewegte sich da etwa sein Oberkörper? Nein, es war kein Atemholen, es war nur ein Windstoß gewesen, der ein Blatt auf seinen angeschwollenen Bauch gewirbelt hatte. Es war unerträglich. Sie konnte nicht länger hinsehen. Angewidert schüttelte sie sich. Wie hatte er sie nur in diese Situation bringen können? Wie grässlich von Kurt, sie in diese Lage zu zwingen. „Und du bist sicher, dass er schon tot war, als du ...“
„Ja, Eva! Wie oft denn noch? Ich kam hier an, und da lag er, so wie jetzt. Genau so!“ Johanna wurde ungeduldig. Sie wollte den Körper endlich verscharren. „Nun mach schon, wir müssen ihn begraben, bevor es ganz hell wird!“
„Ich weiß nicht, bist du dir wirklich sicher? Sollten wir nicht lieber die Polizei holen?“
„Wozu? Damit sie uns dumme Fragen stellt? Was, glaubst du, werden die Polizisten denken, wenn wir ihnen von Isabellas Vergewaltigung erzählen? Welche Schlüsse werden sie wohl ziehen, wenn du ihnen beschreibst, wie aufgeregt sie war, als sie bei uns ankam? Werden sie uns wirklich glauben, wenn wir behaupten, dass Kurt einfach so gestürzt ist und sich dabei tödlich verletzt hat? Sei jetzt bitte vernünftig!“ Johannas Stimme war lauter und sehr bestimmend geworden. „Pack mit an und hilf mir diesen Drecksack auf die Schubkarre zu laden. Er ist so schwer wie ein totes Schwein.“
Eva zuckte zusammen. Sie wollte das nicht hören. Und wenn er schon hundert Jahre tot wäre, sie wollte es nicht hören, und sie konnte diesen Körper nicht berühren. Und so durfte Johanna nicht über ihn sprechen. Jetzt, wo er tot war.
„Ich kann nicht!“
Johanna stand direkt vor ihr und stemmte beide Hände in die Hüften. „Willst du Isabella wirklich nicht helfen? Willst du, dass sie verhaftet wird? Wegen diesem Stück Scheiße?“ Sie spuckte auf den Boden und verfehlte dabei nur ganz knapp den blutroten Klumpen aus Haaren, Haut und Dreck zu ihren Füßen.
Eva hielt sich die Hand vor den Mund. Eine hilflose, zittrige Geste. Durch die geöffneten Finger stammelte sie: „Wie hat sie es nur fertiggebracht? Wie konnte sie nur ...?“
„Du hast gehört, was sie gesagt hat. Mit dem Hammer hat sie ihn erschlagen! Wahrscheinlich nicht mit Absicht. Sie wird ihn einfach nur glücklich erwischt haben!“ Und als Eva aufstöhnte, verbesserte sie sich. „Du weißt, was ich meine. Sie hat sich einfach erfolgreich gewehrt. Vergiss nicht, es war reine Notwehr. Sie kann überhaupt nichts dafür.“
Eva nickte.
„Aber die Polizei wird es nicht so sehen. Es ist unsere Pflicht ihr zu helfen. Wir haben das so besprochen, und du warst damit einverstanden. Du hast gesagt, du lässt mich das nicht alleine machen. Also los jetzt! Hilf mir!“
Johanna beugte sich zu dem leblosen Körper hinunter, und Eva trat zögerlich einen Schritt näher. Ja, sie hatte sich dazu bereit erklärt, die Leiche zu beseitigen, hatte aber nicht geahnt, dass es ihr so schwerfallen würde.
Die halbe Nacht hatten sie diskutiert. Dann hatten sie Schubkarre und Schaufeln aus der Werkstatt geholt und waren losgefahren, um Kurt zu begraben. Eine andere Lösung gab es nicht. Es war ihnen nicht bewusst, dass sie Schuld auf sich luden, indem sie Isabella nicht daran erinnerten, dass sie Kurt mit dem Hammer erschlagen hatte. Wozu Isabellas Leid vergrößern? Sie hatte schon genug mitgemacht. „Es ist besser, sie vergisst das alles möglichst schnell“, hatte Johanna auf der Fahrt zur Mine entschieden.
Die Schubkarre musste ebenerdig stehen, damit sie
Weitere Kostenlose Bücher