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Die Auswanderinnen (German Edition)

Die Auswanderinnen (German Edition)

Titel: Die Auswanderinnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: helga zeiner
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Kurt. Es wird höchste Zeit dafür.“
    Kurze Zeit später tauchte sie wieder auf und eilte an Eva vorbei aus dem Haus. Sie hatte sich eine dünne Nylon-Wetterjacke übergestreift. Über ihrer Schulter baumelte an einem dunkelbraunen Gurt Kurts Jagdgewehr.

Kapitel 40
     
     
    Johanna kam nach einer knappen Stunde zurück. Diesmal hielt sie das Gewehr einfach so in der Hand, der breite Riemen, der für Kurts Schultern gedacht gewesen, streifte den Boden. Sie sagte erstaunlich ruhig, irgendwie gelassen: „Er ist tot.“ Dann fragte sie nach Isabellas Zustand und ging in die Küche, um frischen Kaffee aufzusetzen. „Wir müssen uns überlegen, was wir als Nächstes tun sollen“, murmelte sie dabei halblaut. Dann kam sie mit zwei dampfenden Tassen zurück, setzte sich vor dem Sofa, auf dem Isabella in eine Decke gehüllt, reglos wie eine Mumie, lag, und berichtete Eva, wie sie Kurt gefunden hatte. Ganz in der Nähe des Einstiegslochs hätte er gelegen, mit tödlichen Verletzungen, die so offensichtlich waren, dass sie es nicht für nötig befunden hatte, ihn genauer zu untersuchen. „Du kannst mir glauben, dem war nicht mehr zu helfen“, erklärte sie und beantwortet Evas Fragen, die ihrem konfusen, schockierten Gesicht abzulesen waren, noch ehe sie gestellt wurden. Eine stille Fröhlichkeit umspielte sie dabei, machte jede ihrer Gesten sanft und friedlich und übertrug sich ganz allmählich auf Eva. Johanna hatte alles unter Kontrolle, sie war eine Quelle des Friedens, die das Grauen der Nacht zurecht rückte. „Ich denke, wir sollten ihn schnellstens beerdigen“, meinte sie, als die Kaffeetassen leer getrunken waren.
    Eva verstand sofort, was von ihr erwartet wurde und reagierte ungewohnt vernünftig. Natürlich mussten sie Kurt heimlich verscharren. Natürlich mussten sie Isabella helfen. Es war niemandem gedient, wenn sie die ganze Sache an die große Glocke hängen würden. Die Dämmerung würde nicht mehr lange auf sich warten lassen, also mussten sie sich beeilen.
    Isabella wachte bei Morgengrauen auf, schwach und elend. Aber ihr Zustand war stabil, und Johanna war überzeugt, dass sie keine ärztliche Versorgung benötigte. Sie gab ihr zu trinken, warmen Tee mit einem Schlafmittel, das Isabella schnell wieder einschlafen ließ.
    Doch ehe sie wieder in den erlösenden Zustand totalen Vergessens glitt, stützte sie sich zittrig auf ihrem linken Arm auf, sah mit halbgeschlossenen Augen zu den beiden Frauen auf und fragte nach Kurt. Einfach so. Sie fragte, ob er bereits zu Hause angekommen sei.
    „Nein“, antwortete Johanna ihr ruhig und bestimmt. „Kurt ist tot.“
    Dabei beobachtete sie Isabella, lauernd, abwägend. An welche Einzelheiten des gestrigen Abends erinnerte sie sich noch?
    Isabella fragte nach einer kurzen Pause: „Was ist geschehen?“
    „Es war ein Unfall“, begann Johanna und wählte vorsichtig ihre nächsten Worte. „Ein Unglück, für das niemand etwas kann.“
    Isabella schien sich nicht zu wundern. „Dann ist es besser, ihr begrabt ihn schnell. Es muss ja niemand wissen, was geschehen ist. Gott, bin ich müde.“ Ihr Kopf fiel zurück, sie lag flach auf dem Rücken und schlief wieder ein.
     
    „Bist du dir sicher, dass er wirklich tot ist?“, flüsterte Eva so leise, als würde sie befürchten, dass Kurt sie noch hören oder von ihren Worten wiederbelebt werden könnte. Dass er wie eine Furie aufspringen und mit wüsten Beschimpfungen über sie herfallen würde. Sie konnte den leblosen Körper, der vor ihr auf dem Boden lag, beim besten Willen nicht ansehen. Er flößte ihr schreckliche Angst ein, und sie konnte einfach nicht anders, als eine höhere Macht darum anzuflehen, dass er auch wirklich tot war. Allein der Gedanke, dass sich dieser dreckverschmierte Fleischbrocken plötzlich bewegen und aufrichten ... nein, es war nicht auszudenken!
    Johanna antwortete ihr nicht. Dafür starrte sie umso intensiver auf den Leichnam und studierte den Körper des Mannes, der ihr vor so unendlich langer Zeit, mit einem Versprechen auf den Lippen, den Ehering über den Finger gestreift hatte. Jetzt lag er auf dem Rücken, mit gespreizten Armen und Beinen, ganz als ob er sich auf einer weichen Wiese ausruhen und in den Himmel blicken würde. Aber er lag auf hartem staubigen Boden und seine offen stehenden Augen waren blicklos und stumpf. Johanna beugte sich über seinen riesigen Leib und musterte flüchtig sein verschmutztes Gesicht. Blut war aus einer oder mehreren Wunden ausgetreten, sie

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