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Die Auswanderinnen (German Edition)

Die Auswanderinnen (German Edition)

Titel: Die Auswanderinnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: helga zeiner
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nicht kippte. Doch Kurt lag auf einer mit scharfen Felsbrocken durchsetzten leichten Anhöhe und so mussten sie den sperrigen, schweren Körper zuerst über den Boden schleifen und rollen, um ihn in eine günstige Position zu bringen. Dann versuchten sie ihn hochzuwuchten. Er rutschte ihnen mehrmals aus den Händen, bis Johanna ihn schließlich unter den Achseln fasste und Eva befahl, sich zwischen seine Beine zu stellen und ihn fest unter den Kniekehlen zu packen, sodass seine Knie in ihren Armbeugen lagen und sie sein Gewicht besser tragen konnte. Eva folgte ihren Anweisungen mit geschlossenen Augen. Er war so schwer, und sein Oberkörper drehte sich, als sie seine Beine nochmals anhoben, um den Rest seines Körpers in die Karre zu hieven.
    Endlich hatten sie es geschafft und schoben die Karre einen Pfad entlang. Sie mühten sich ewig lange, um die schwere Last auf dem wackeligen Vorderrad einigermaßen auszubalancieren und durch das dichte Gestrüpp zu manövrieren. Ein Durchkommen war fast unmöglich, und Johanna hielt mit beiden Händen die hölzernen Griffe der Schubkarre fest und schob kraftvoll und gleichzeitig bedächtig, denn die Last tendierte immer wieder dazu, zu rutschen. Sie durften sie nicht kippen lassen! Es war fürchterlich anstrengend. Irgendwann gab Johanna auf. Sie wusste, dass der Platz, an dem sie ihn eingraben wollte, noch tiefer in das unwirtliche Gelände hineinführte, aber sie konnte einfach nicht mehr weiter. Resigniert zerrte sie die Schaufeln, die sie unter Kurts Körper geklemmt hatte, von der Karre, drückte Eva eine davon in die Hand und begann, wo sie war, ein Loch zu graben. Auch das war harte, schweißtreibende Arbeit, denn der Boden war trocken, steinig und von Wurzeln durchzogen. Aber sie hatten Glück. Nachdem sie eine steinharte oberste Schicht abgetragen hatten, wurde der Boden auf einmal bröckelig. Johanna klopfte mit der scharfen Kante der Schaufel mehrmals auf die Erde und lockerte sie weiter auf. Bis sie plötzlich unter ihren Schlägen nachgab und einbrach.
    „Ein unterirdischer Hohlraum!“, rief sie Eva zu. „Das ist gut!“
    Evas Rücken schmerzte von der ungewohnten Arbeit, und sie war schweißgebadet. Das Loch vor ihnen war vielleicht nicht tief genug, um den Körper für immer darin verschwinden zu lassen, aber Eva war so dankbar, dass die Erde an dieser Stelle nach unten gesackt war, dass sie sich nur am Rande fragte, wie dieser Hohlraum zustande gekommen war. Vielleicht handelte es sich ja um den verlassenen Bau eines Tieres? Doch letztendlich war ihr völlig gleichgültig, woher diese Grube kam. Hauptsache, sie würden den Körper so schnell wie möglich versenken, verbergen, mit Erde zuschütten und danach verschwinden können.
    Nachdem sie die Schubkarre zur Seite gekippt hatten, rollte Kurt fast widerwillig in das Loch. Seine Arme und Beine wollten nicht zusammen mit dem Körper in der Erde verschwinden. Johanna musste in die Grube steigen und ihn zurechtbiegen. Er war starr und widerspenstig. Johanna fluchte und stieß mit ihren Stiefeln mehrmals gegen ihn, um ihn endgültig über den Rand zu drücken. Endlich war er in der richtigen Position, und sie schaufelten Erde über ihn, bis er ganz davon bedeckt war.
    „Sollten wir nicht ein Gebet sprechen?“, fragte Eva, nachdem sie die mühselige, grauenhafte Arbeit endlich beendet hatten.
    Johanna hieb mit der Schaufel auf den Boden, um die Erde festzuklopfen. „Von mir aus“, murmelte sie.
    Eva überlegte, ob sie das Vaterunser noch in Erinnerung hatte, dann begann sie: „Vater unser, der du bist im Himmel ...“ und hielt inne. Johanna hatte die Schaufel zur Seite geworfen und trampelte mit den Füßen auf dem Grab herum.
    „Johanna, ich kann nicht beten, wenn du ...“
    „Dann lass es eben!“ Johanna stampfte weiter, gleichmäßig und gleichgültig. „Die Erde muss fest sein, sonst buddeln ihn die wilden Tiere wieder aus. Außerdem ist es nicht nötig, für ihn zu beten.“
    Vielleicht hat sie Recht, dachte Eva, als sie den Rückweg antraten. Wie ging das Gebet gleich noch einmal? Sie hatte es doch tatsächlich vergessen!
    Eva schob den schmutzigen Karren mit ihrer Schaufel darin vor sich her. Obwohl er nun ganz leicht war, hatte sie trotzdem Mühe, ihn im Gleichgewicht zu halten. Wie hatte Johanna, wie hatten sie beide es nur geschafft, den Karren samt des schweren Körpers über die vielen Unebenheiten, über Steine und Wurzeln und durch die Furchen und Mulden zu bewegen? Schon jetzt war es ihr

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