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Die Auswanderinnen (German Edition)

Die Auswanderinnen (German Edition)

Titel: Die Auswanderinnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: helga zeiner
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das alles nach so langer Zeit noch einmal aufzuwühlen. Es ist viel zu schmerzhaft für dich.“ Dabei sah sie Jo Ann an, die sie daraufhin aber nicht wie erwartet aus der Pflicht nahm, sondern schweigend darauf wartete, dass Isabella ihre Erzählung bis ganz zu Ende brachte.
    „Na gut, wenn du unbedingt willst“, fuhr Isabella fort. „Kurt fiel über mich her, wollte mich, na, du weißt schon, ich riss mich los, klaute seinen Wagen und fuhr zu euch zurück. Ihr habt mich beruhigt und ich bin eingeschlafen. Dann, ich glaube, ich habe den ganzen nächsten Tag über geschlafen, habt ihr mir am übernächsten, oder vielleicht noch am selben Tag, gesagt, dass Kurt nicht mehr am Leben ist. Und das war’s.“
    „Das war’s?“, fragte Eva. „Du erinnerst dich sonst an nichts?“
    Isabella wand sich. „Na ja, natürlich könnte ich noch mehr erzählen, aber das sind doch alles nur Nebensächlichkeiten.“
    „Überlass es uns, das zu beurteilen“, meinte Jo Ann. „Also, an was erinnerst du dich noch?“
    „An vieles. Daran, dass mir kalt war. Es ist ein wirklich scheußlich kalter Morgen gewesen. Dass die Büsche meine Arme und Beine zerkratzten. Dass ich Angst hatte, von wilden Tieren angefallen zu werden. Daran erinnere mich sogar noch sehr gut, weil das ein ziemlich beängstigendes Gefühl war, so ganz alleine im Busch. Und an meine unbändige Wut auf Dieter, daran erinnere ich mich auch noch sehr genau.“
    „Und an deine Wut auf Kurt?“, fragte Eva so leise, dass ihre Worte kaum noch zu verstehen waren.
    „Nein, eigentlich nicht. Ich war hauptsächlich wütend auf Dieter. Er war derjenige, dem ich die ganze Misere doch überhaupt erst zu verdanken hatte. Wenn er mich damals nach meiner Rückkehr aus Lightning Ridge nicht so schnell verlassen hätte, hätte ich ihn wahrscheinlich verlassen. Auf jeden Fall glaube ich nicht, dass ich ihm je verziehen hätte, dass er mich mitten im Busch aus dem Wagen geworfen hat. Aber leider hat er mir dazu ja keine Möglichkeit mehr gegeben. Überhaupt, so habe ich das Ganze noch gar nie betrachtet! Vielleicht bin ich ja nur deshalb noch immer so wütend auf ihn! Weil er mir die Chance genommen hat, ihn zum Teufel zu jagen, und weil das noch immer an mir nagt.“ Plötzlich grinste sie. „Wisst ihr was, das werde ich auf irgendeine Art und Weise noch nachholen. Womöglich fliege ich eines Tages noch nach New York und prügle ihm die Seele aus dem Leib!“
    „Das würde dir sicher guttun“, bestätigte Jo Ann. „Also, du warst auf Kurt nicht wütend?“
    Isabella schüttelte den Kopf und sah an ihr vorbei durch die Fensterscheibe und begann die Segelschiffe zu zählen, die in der Marina ankerten und auf den Wellen schaukelten. Zehn, elf, zwölf...
    Jo Ann ließ nicht locker. „Obwohl er versucht hat, dich zu vergewaltigen?“
    „Seht euch das an. So viele Segelschiffe! Es ist keine einzige Anlegestelle mehr frei. Wenn heute Nacht ein Sturm aufkommt, wird das hier ein einziger Trümmerhaufen.“
    „Isabella!“
    „Okay, okay! Wenn du es unbedingt wissen willst – nein! Nein, ich kann mich nicht erinnern, wütend auf ihn gewesen zu sein. Meine Güte, was war schon dabei? Ich war es gewohnt, dass Männer ihr Glück bei mir versuchten, und hatte gelernt, damit umzugehen. Das unbeholfene Gegrapsche meiner männlichen Kollegen im Büro war mir so selbstverständlich wie ihr Morgengruß. Da waren Kurts Annäherungsversuche nichts Ungewöhnliches.“
    „Ein bisschen Grapschen ist etwas anderes als eine Vergewaltigung“, mischte sich Eva ein.
    „Ach was. Das sind viel zu harte Worte. Beides ist nichts anderes als ein Eingriff in deine Intimsphäre, und den muss man abschütteln können. So sah ich das damals. Ich habe mir also sicher nicht so viel dabei gedacht, als es Kurt bei mir versucht hat. Und schließlich ist es ja auch bei dem Versuch geblieben, weil ich rechtzeitig abhauen konnte.“
    „Das machst du dir also noch immer vor?“ Eva ignorierte den warnenden Blick Jo Anns.
    „Ich mache mir doch nichts vor! Was soll ich mir denn vormachen?“
    Worauf Jo Ann Eva mit einer leichten Handbewegung unterbrach und vorsichtig erklärte: „Eva meint, dass es vielleicht doch zu einer Vergewaltigung gekommen ist. Was ist denn nun wirklich zwischen deiner Ankunft und deiner Flucht von der Mine passiert?“
    Isabella zupfte mit ihren Fingern an ihrer Unterlippe herum. Sie musste nachdenken; die beiden waren so hartnäckig. Was sollte schon geschehen sein? Sie hatte doch

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