Die Auswanderinnen (German Edition)
Angst.
„Was dann?“, drängte Eva, als Isabella in ihrer Erzählung innehielt und sich angewidert schüttelte.
„Dann schlage ich um mich, aber da ist es schon viel besser. Ich ringe nach Luft, schlage wild auf etwas ein, und wache auf. Als würde ich den Traum dirigieren. Denn noch während ich um mich schlage, weiß ich, jetzt ist es vorbei, gleich wache ich auf und bin gerettet – zumindest bis zum nächsten Mal.“
Eva sah Jo Ann nicht an, sondern starrte gebannt in Isabellas Gesicht und fragte erneut: „Und dann?“
„Nichts. Dann bin ich froh, dem blöden Traum entkommen zu sein und schlafe wieder ein. Und zwar tief und fest, und wenn ich wieder aufwache, denke ich jedes Mal, dass der Traum nicht wiederkommt, weil ich ihn jetzt schließlich kontrollieren kann! Es ist nicht so, dass ich Angst vor dem Einschlafen habe, ich fürchte mich nie davor. Es ist nur ziemlich scheußlich, wenn es passiert.“
„Das kann ich mir vorstellen“, meinte Eva und fragte Jo Ann: „Was hältst du davon?“
Jo Ann betrachtete ihre brüchigen, pflegebedürftigen Fingernägel und studierte aufmerksam ihren eingerissenen Daumennagel. „Nun ja“, begann sie langsam. „Warum sollte Isabella Angst vor einem Traum haben? Schließlich hat sie ja alles unter Kontrolle! Du entkommst doch jedes Mal, hast du gesagt – nicht wahr, Isabella? Nur darum geht es doch! Isabella weiß sich zu wehren und ist am Ende die Siegerin!“
Isabella kam diese Antwort merkwürdig vor. „Also hör mal, das ja klingt ganz so, als ob wir nicht über einen Traum, sondern über die Realität reden würden. Was soll das? Als was willst du mich hier denn abstempeln? Als die ungerührte, kühle Siegerin um jeden Preis?“
„Vergiss es“, winkte Jo Ann ab.
„So ein ausgemachter Blödsinn!“ Isabella stand ruckartig auf, legte Geld auf den Tisch des Eiscafés, und sagte, ohne dabei zum Himmel zu blicken: „Ich glaube, es wird gleich regnen. Wir sollten langsam an die Weiterfahrt denken.“
Jo Ann stand ebenfalls auf, während Eva resigniert seufzte, ihre Handtasche von der Lehne des Stuhls nahm und den beiden Frauen folgte. Sie hatte so sehr gehofft, dass es nun endlich zu einer Aussprache kommen würde.
Froh, den Ort wieder verlassen zu können, machten sie sich kurz darauf an die Weiterreise.
Nach etwa hundert Kilometern Fahrt tauchte der Leuchtturm von Byron Bay vor ihnen auf. Sie fuhren zum Parkplatz auf halber Höhe des Kliffs und wanderten den Fußweg zum Gipfel der Klippe hinauf. Das Grundstück um den Leuchtturm war mit frisch gemähtem hellgrünem Rasen bewachsen und von einem weißen Holzzaun umgeben. Sie hatten das Gefühl, an der Küste Englands zu sein. Aber es war Australien – sie standen auf der östlichst gelegenen Spitze des Kontinents, die sich wie ein mutiger Finger in den Pazifischen Ozean hineinstreckte, und wurden von beiden Seiten mit der Gischt besprüht, die der Wind bis zu ihnen hinauftrug.
„Ich komme mir vor wie auf der ,Titanic‘“, schrie Isabella in eine Bö hinein, „ich meine wie im Film.“ Sie kletterte auf die unterste Stufe des Zauns und breitete, ganz wie die Hauptdarstellerin des Films, ihre Arme aus, während Eva hinter sie trat und sie an ihren ausgebreiteten Armen festhielt.
„Lass los, du drückst mich nach vorn“, schrie Isabella mit spitzer Stimme und wand sich auf einmal voller Panik.
„Lass sie los!“, schrie nun auch Jo Ann ganz aufgeregt und stürzte auf die beiden Frauen zu, um sie vor einem Sturz zu bewahren. Dabei krallte sie sich in Evas Oberarme, die noch immer um die Isabellas geschlungen waren, und zog sie beide gleichzeitig vom Zaun zurück. Mit aller Macht, damit Isabella nicht noch das Übergewicht verlieren konnte und sich nicht übergeben musste, wenn der beängstigende Druck von hinten zu stark für sie wurde. Jo Anns Gesicht war aschfahl geworden und so verzerrt, als ob sie gegen eine unsichtbare Kraft ankämpfen müsste. Denn es war plötzlich Kurt, dessen Griff sie lockern und dessen schweres Körpergewicht sie verlagern musste.
„Angsthasen“, sagte Eva irritiert und ließ Isabella los. Sie hatte Jo Anns verzweifelten Gesichtsausdruck nicht sehen können, sondern nur deren scharfen Befehl gehört, und fühlte sich nun unangemessen gerügt.
„Ich wollte dich nicht erschrecken“, wandte sie sich an Isabella, die, von Jo Anns zitternden Händen gehalten, langsam einen weiteren Schritt von der Klippe zurücktrat.
„Schon gut“, antwortete diese, „es
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