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Die Auswanderinnen (German Edition)

Die Auswanderinnen (German Edition)

Titel: Die Auswanderinnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: helga zeiner
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hatte.
    „Hallo“, begann die Nachricht, und sie wusste, dass Dieter sie beleidigen wollte, indem er sie nicht mit ihrem Namen ansprach. „Ich habe beschlossen, Australien zu verlassen. Und dich. Du kannst die Möbel und meinen Wagen behalten, mach damit, was du willst. Das Geld auf meinem Konto habe ich abgehoben, es gehört mir. Bye, Dieter.“
    Sie musste die hingekritzelte Notiz mehrmals lesen. Die Möbel! Die paar elenden, unbequemen Designerteile! Das Auto! Dieses gebrauchte Klapperteil auf vier Rädern! Wie konnte er es wagen! Das ganze Geld weg? Um Himmels willen. Ihre Hand zitterte, als sie die Zigarette endgültig mit einer aggressiven Bewegung auf der Untertasse ausdrückte. Wie konnte er es wagen, sie zu diesem Zeitpunkt zu verlassen? Sie war doch noch gar nicht so weit. Und wieso wollte er sie verlassen? Und wohin wollte er gehen? Es ging ihm doch gut hier. Er konnte doch nicht einfach von hier fortgehen und sie verlassen! Australien verlassen! Oh nein, so einfach ging das nicht!
    Sie sprang auf. Wann hatte er den Zettel geschrieben? Heute Morgen, nachdem sie zur Arbeit gegangen war und er seinen Rausch ausgeschlafen hatte? Das wäre dann so gegen Mittag gewesen. Dann konnte er noch nicht sehr weit gekommen sein. Am besten fuhr sie sofort zum Flughafen! Wenn sie nur wüsste, wann dort die nächste Maschine nach Deutschland abhob. Abends? Morgens? Sie schüttelte heftig den Kopf. Nein, nein, er war bestimmt noch nicht am Flughafen. Erst musste er doch noch seine Sachen einpacken. Sie ging ins Schlafzimmer, öffnete den Schrank und sah nur noch ihre eigene Kleidung darin hängen. Alles, was ihm gehörte, war verschwunden. Der Schrank sah erstaunlich leer aus. Besaß sie wirklich nur so wenig Kleidung, und er so viel?
    Die Minuten dehnten sich. Hilflos stand sie vor dem Einbauschrank, und während sie die leeren Kleiderbügel anstarrte, dämmerte ihr, dass er es wirklich getan hatte. Er hatte nicht nur den Schrank, sondern auch das Konto leer geräumt. Es war nichts mehr da! Null Komma null, nichts!
    Vorsichtig schloss sie die Schranktüren und ging zurück ins Wohnzimmer, nahm wieder auf dem Sofa Platz und versuchte krampfhaft, nachzudenken.
    Dieter war weg. Das war durchaus zu verkraften, auch wenn es sie seltsamerweise kränkte, weil sie den Grund dafür nicht nachvollziehen konnte. Aber mit ihm war auch das Geld weg – und das traf sie wirklich hart! Wie sollte es nun weitergehen? Sie war genau dort angelangt, wo sie nicht hatte hin wollen. Er hatte sie mit den Problemen ihres kümmerlichen Alltags alleingelassen und war abgehauen. Wenn sie die Kündigungsfrist für die Wohnung einhielt, wären ihre geheimen Ersparnisse aufgebraucht. Und wer wusste schon, was für finanzielle Forderungen sonst noch auf sie zukommen würden? Sie würde Tag für Tag arbeiten müssen, nur um überleben zu können. In einer Firma, die ihre Aufträge anständig und ordentlich abwickelte, darüber hinaus aber völlig uninteressant war und keinerlei Aufstiegschancen bot. Sterbenslangweilig und reizlos. Sie würde eine kleinere Wohnung nehmen müssen, ein Einzimmerapartment wahrscheinlich, und hin und her pendeln, zwischen endlosen Stunden in greller Bürobeleuchtung und der düsteren Hinterhofatmosphäre einer tristen Behausung, die irgendwo im Süden Sydneys liegen würde. An einer der stark frequentierten Hauptstraßen, die durch heruntergekommene Einwandererviertel wie Randwick oder Kingsford führten, wo es günstige Wohnungen gab. Wo es gefährlich war, nachts als Frau alleine aus dem Haus zu gehen, und wo Ungeziefer und Kriminalität, Dreck und Lärm regierten. Nein, soweit durfte es erst gar nicht kommen.
    Sie musste Dieter finden und zur Vernunft bringen. Irgendwie musste sie ihn aufhalten und davon überzeugen, bei ihr zu bleiben. Oder, besser noch, ihr die Hälfte seines Geldes zu geben. Wenn sie in Deutschland leben würden, hätte sie ihn rechtlich sogar dazu zwingen können. Aber hier waren die Gesetze leider anders und sie besaß keinerlei Anspruch auf das Geld, das ihr Mann verdient hatte. Allerdings waren sie noch immer deutsche Staatsbürger, vielleicht könnte sie über einen Anwalt...? Sie wählte Evas Nummer, hoffentlich war sie zu Hause. Vielleicht wusste ja Uwe, wo Dieter steckte. Nachdem es endlos lange geklingelt hatte, und sie schon auflegen wollte, meldete sich Eva doch noch am anderen Ende der Leitung.
    „So eine Überraschung“, sagte sie mit ungewohnt spitzem Unterton. „Was gibt’s denn so

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