Die Auswanderinnen (German Edition)
sechswöchige Hochzeitsreise geben würde, war Uwe sofort aktiv geworden und hatte sich um alles gekümmert. Noch ehe sie über die Konsequenzen der getroffenen Entscheidung hatte nachdenken können, waren die Räder bereits in Bewegung gesetzt gewesen. Uwe hatte den Hochzeitstermin einen Tag vor ihre Abreise gelegt und ihr dies so lange verschwiegen, bis alle Formalitäten erledigt und nichts mehr rückgängig zu machen gewesen war. Nichts mehr war zu ändern! Uwe hatte sich irgendwie in ihr Leben geschlichen, leise, still und so unbemerkt, dass sie nicht einmal mehr genau wusste, wie und wo sie ihn überhaupt kennen gelernt hatte. Aber nun war es eben so. Bis jetzt hatte sie es auch ganz toll gefunden. Sie hatte allen ihren Freundinnen vorgeschwärmt, wie aufregend die Reise werden würde. Las Palmas, Kapstadt, Perth, Melbourne! Eine sechswöchige Luxus-Schiffsreise, bei voller Verpflegung, und das Ganze für nur hundert Mark Konsulatsgebühren pro Person. Für zweihundert Mark würde sie mit ihrem frisch angetrauten Mann eine Traumreise machen. Viel weiter hatte sie nicht gedacht. Sie hatte sich einfach darauf gefreut, und zwar so sehr, dass sich sogar ihre Eltern mit ihr freuten, obwohl es vor allem ihrer Mutter das Herz zerriss.
Und nun der Schock mit den getrennten Kabinen! Als sie von Uwe getrennt worden war, war sie vor Entsetzen wie gelähmt gewesen. Wie sollte sie die Reise überstehen, in einer Kabine mit sieben anderen Frauen? Neben ihr lag diese fremde, ziemlich große Blondine, die ihr Revier bereits abgesteckt hatte. Anders konnte man es nicht nennen, denn die Frau hatte ihre Decke zusammengerollt und sie demonstrativ zwischen sich und ihre Nachbarin gelegt.
Eva öffnete wieder die Augen, blinzelte und stellte fest, dass es in der Kabine noch immer hell war. Sie betrachtete verstohlen das breite, großflächige Gesicht der scheinbar schlafenden Frau. Ihre Nase war gerade und lang, mit breiten Nasenflügeln. Die Brauen, dunkel und verwegen geschwungen, bildeten einen herben Kontrast zu ihrem hellen Haar, das sie streng aus der hohen Stirn gekämmt trug. Ihre Lippen waren fest zusammengepresst und trotzdem beneidenswert üppig. Und ihre langen, schweren Wimpern, so dunkel wie die Brauen, waren ebenfalls wunderschön. Ja, dieses Gesicht war ausdrucksstark, aber alles andere an ihr war für Evas Empfinden einfach zu groß und kräftig geraten.
Unverhofft öffnete die Frau ihre Augen und Eva lächelte sie aufmunternd an. Schließlich würden sie zusammen die nächsten Wochen auf engstem Raum verbringen müssen, da sollte man sich wenigstens miteinander bekannt machen. Die Blonde warf ihr jedoch lediglich einen vernichtenden Blick zu und drehte ihren Kopf auf die andere Seite. Dann eben nicht!
Nach einer Weile hörte Eva plötzlich leises Gemurmel. Immer noch liegend stützte sie sich auf ihren Ellbogen und blickte über ihre unfreundliche Nachbarin hinweg zu der kleinen Person hinüber, die auf dem gegenüberliegenden Stockwerkbett lag und mit sich selbst sprach. Dem Klang nach stammte sie vermutlich aus Italien, Spanien, Jugoslawien, oder vielleicht sogar aus Griechenland. Eines dieser Länder musste es sein, denn alles an ihr war dunkel. Die langen, dichten Haare, der Teint, sogar ihre Kleidung. Eva konnte sich nicht länger beherrschen.
„Sprechen Sie Deutsch?“, fragte sie ihre Nachbarin und kam sich dabei ziemlich albern vor.
Zu Evas großer Überraschung antwortete ihr diese völlig akzentfrei: „Natürlich spreche ich Deutsch. Was denken Sie denn?“ Ihr leicht bayerischer Akzent klang charmant, besaß allerdings auch einen etwas gereizten Unterton.
„Oh, ich meinte ja nur. Entschuldigen Sie. Ich dachte, Sie sind vielleicht gar keine Deutsche!“ Eva war die Situation fast peinlich.
„Bin ich auch nicht. Das heißt, seit Neuestem schon! Ich bin in Italien geboren und in Deutschland aufgewachsen, aber offiziell habe ich die deutsche Staatsbürgerschaft erst, seitdem ich verheiratet bin. Mein Mann heißt Dieter, er ist Deutscher. Und damit bin ich es wohl auch. Ja, ich bin jetzt tatsächlich Deutsche. Daran muss ich mich erst gewöhnen, es ist noch ganz neu für mich.“
Die große Blonde auf dem Doppelbett neben Eva hob bei diesen Worten fast unmerklich den Kopf und schien zuzuhören. Eva richtete ihre Frage über sie hinweg an die frischgebackene Deutsche: „Wann haben sie denn geheiratet?“
„Vor zwei Wochen!“ Die Italienerin setzte sich aufs Bett und ließ ihre kurzen Beine
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