Die Auswanderinnen (German Edition)
beidem, den Luxus einer spektakulären Aussicht, und eine für Sydney ungewöhnlich abgeschirmte Privatsphäre. Nur wenige Interessenten hatten diesen Vorzug, der sich mit ein paar baulichen Veränderungen herstellen ließ, damals erkannt. Dementsprechend günstig war das Haus gewesen.
Eva sah auf die Uhr. Es war bereits später Nachmittag, also höchste Zeit. „Steve, bist du fertig?“, rief sie in den Raum hinein. Keine Antwort. Sie nahm ihre Lesebrille ab und klappte ihr Buch zu. Schwerfällig erhob sie sich aus ihrem Sessel, klopfte bedauernd auf die spannende Lektüre und legte sie auf den Beistelltisch. Sie öffnete das Fenster zur Hauseinfahrt und sah Steve an ihrem Auto arbeiten. „Bist du noch nicht fertig?“, rief sie nochmals, und diesmal hörte er sie.
„Wie spät ist es denn?“, fragte er, ohne den Kopf unter der Motorhaube hervor zu heben.
„Schon nach vier!“
„Wann kommt sie denn an?“
„Der Flieger landet um sieben.“
„Dann habe ich ja noch etwas Zeit.“
Eva stöhnte. Warum musste man Männern alles dreimal sagen? Sie schloss das Fenster, ging durch jedes Zimmer und blickte sich darin um, denn Isabella sollte sich wohlfühlen. Alles war sauber, ordentlich, gepflegt und sah hübsch aus. Frische Blumen, neue Kerzen, farbenfrohe Bilder an den Wänden und Kissen auf den knallgelben Sofas. Durch die hohen Scheiben zum Innenhof drang die Wärme der Abendsonne, deren schräge Strahlen gerade noch über die Dächer von Bilgola fielen.
Steve kam ins Haus zurück. Sie hörte, wie er sich im unteren Bad die Hände wusch, die Schuhe auszog, und dann die Treppe heraufkam. Er sah müde und blass aus, und sie machte sich Sorgen. Die vielen Überstunden, die er wegen den anstehenden Commonwealth -Spielen machen musste, taten ihm nicht gut. Sobald die Games vorbei waren, sollte er unbedingt einmal ausspannen. Doch davon abgesehen, fand sie ihn verdammt gut aussehend. Viel besser als Uwe, fuhr ihr durch den Kopf, aber sie verdrängte den Gedanken sofort wieder, denn sie hatte es sich schon lange abgewöhnt, Vergleiche zwischen ihrem früheren und ihrem jetzigen Ehemann anzustellen. Oberflächlich betrachtet mochten sie sich vom Wesen her sogar ähnlich sein, dennoch waren sie grundverschieden voneinander. Uwes reservierte Art hatte verschlossen und distanziert gewirkt, Steve hingegen war ruhig und still und dennoch offen und kommunikativ.
„Was soll ich anziehen?“, fragte er.
„Es ist schwül. Zieh die beige Hose an, dann passt das neue Hemd dazu. Das blaue, das ich dir neulich gekauft habe.“
„Ist gut.“ Er verschwand im Schlafzimmer.
Sie musste sich nicht mehr umziehen. Sie musste nur noch ihre Strickjacke mitnehmen, falls die kurzärmlige Bluse für den klimatisierten Flughafen zu luftig wäre.
Sollte sie Johanna noch einmal anrufen? Mittlerweile waren mehr als zwei Wochen seit ihrem Telefonat vergangen, und Johanna hatte sich immer noch nicht gemeldet. Wie sollte sie sich jetzt verhalten? Was um Himmels willen sollte sie Isabella sagen? Es war einfach nicht richtig von Johanna, sie mit der ganzen verdammten Geschichte allein zulassen.
Sie öffnete das kleine Telefonbüchlein neben dem Apparat, suchte Johannas Nummer heraus und wählte. Als Steve, frisch gekleidet und nach After Shave duftend ins Zimmer kam, hatte sie es bestimmt schon zehnmal läuten lassen und legte frustriert wieder auf.
„Mist!“
„Wen hast du angerufen?“, fragte er nebenbei, ging in die Küche und holte sich eine Flasche abgekochten Wassers aus dem Kühlschrank, da das Leitungswasser in Sydney nicht trinkbar war.
„Johanna. Aber sie scheint nicht zu Hause zu sein! Wie ärgerlich.“
„Ist doch egal.“
„Eben nicht. Ich muss unbedingt wissen, ob wir uns mit ihr treffen können, solange Isabella bei uns zu Besuch ist“, erwiderte Eva.
Steve öffnete den Schraubverschluss der Wasserflasche, trank einen Schluck und verschloss sie wieder, um sie auf die Fahrt mitzunehmen. „Versuchs doch später wieder. Sie wird wahrscheinlich gerade in ihrer Mine sein.“ Steve kannte Johanna nur aus den Erzählungen seiner Frau.
„Unmöglich, im Norden regnet es doch noch immer. Hast du denn die Nachrichten nicht gesehen?“ Natürlich hatte er die Nachrichten gesehen. Sie sahen immer zusammen fern, so wie sie fast ihre ganze Freizeit gemeinsam verbrachten.
„Schon gut. Ich meine ja nur.“
Evas Ärger verpuffte. Es war so angenehm mit Steve, er nahm ihr nie übel, wenn sie schnippisch, ungerecht oder
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