Die Auswanderinnen (German Edition)
hatten die Nordsonne, die ihnen am Abend Wärme schenkte. Das Südwestufer war dagegen kühler und dunkler. Dort legte die Manly Ferry an, die am Eingang der Heads vorbei musste, um nach Central zu kommen.
„Wir können mit der Fähre zum Circular Quay fahren, wenn du möchtest“, schlug Eva vor. „Überleg es dir, ich ziehe mich nur schnell an. Es ist noch Kaffee in der Kanne.“
Als Eva wieder aus dem Schlafzimmer kam, trug sie ein lose hängendes, mit kleinen weißen Blumen gemustertes Sommerkleid und Sandaletten. Isabella musterte sie kritisch, sagte aber nichts, und Eva hatte das ungute Gefühl, als würde sich ihre Freundin einen bissigen Kommentar verkneifen.
Sie fuhren nach Manly und bummelten von einem Ende der Einkaufsstraße zur anderen, bis sie gegen Mittag Hunger bekamen und beschlossen, in ein italienisches Restaurant zu gehen. Das Meer direkt vor ihren Augen, aßen sie frische Scampi und tranken ein Glas Weißwein. Entspannt prosteten sie sich zu und unterhielten sich während des Essens angeregt über die dramatischen Veränderung des nördlichen Stadtteils im Allgemeinen und über das Leben wie Eva es jetzt in Sydney führte, im Besonderen. Vorsichtig näherten sie sich einander im Gespräch an, indem sie sich gegenseitig die Freiheit ließen, allzu Privates gar nicht erst anzusprechen.
So erzählte Isabella von ihrer Firma und dem Erfolg, der sich so bald nach ihrer Rückkehr nach Deutschland eingestellt hatte. „Schon nach einem Jahr war ich aus den roten Zahlen. Im ersten Jahr haben mir meine Brüder geholfen und mir kleinere Aufträge zugeschanzt, aber dann zog ich selbst los und habe mich bei allen großen deutschen Firmen vorgestellt. Ich hatte da anscheinend eine Marktnische entdeckt, denn die jeweils zuständigen Produktmanager haben mich alle mit offenen Armen empfangen und waren froh, eine kleine flexible Firma als Zulieferer zu haben, die mit dem Ausland Geschäfte machen konnte.“
Eva, die nicht so genau verstand, worüber Isabella redete, als sie ihr die genaue Positionierung ihrer Firma auf dem Markt erläuterte, bemühte sich dennoch, interessiert zuzuhören. Nach dem Essen setzten sie dann wie geplant und leicht beschwipst mit der Fähre über, um sich Central anzusehen. Isabella war erstaunt darüber, dass sich fast gar nichts verändert hatte. Alles war ein klein wenig moderner, geschäftiger und ordentlicher geworden, die Häuser waren jedoch nicht höher geworden, und die Straßen hatten natürlich immer noch den gleichen Verlauf.
Isabella wurde im Laufe des Nachmittags immer stiller. Sie wirkte müde, und ihr gekonnt aufgetragenes Make-up konnte die einsetzende Erschöpfung nicht länger verbergen. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen. „Komm, wir fahren zurück“, entschied Eva, und Isabella lief wie ein braves Kind ohne Widerrede neben ihr her. Auf der Fähre fielen ihr die Augen zu, sobald sie sich hingesetzt hatte, ihr Kopf kippte zur Seite und ihr Atem rasselte leise, fast so, als würde sie schnarchen. Das gefiel Eva. Isabella war also doch nicht vollkommen, sondern auch nur ein Mensch.
Zu Hause angekommen, zog sich Isabella gleich auf ihr Zimmer zurück, nur für ein kleines Nickerchen, wie sie sagte. Aber als Eva kurz vor sieben nach ihr schauen kam, schlief Isabella immer noch tief und fest und wusste erst gar nicht, wo sie war, als Eva sie sanft wachrüttelte. „Die Übertragung der Eröffnungsfeier beginnt gleich“, wiederholte Eva ein paar Mal, bis Isabella endlich vollständig wach war. Worauf die Freundin rasch in ihren bequemen Hausanzug schlüpfte und sich leicht verknittert und mit ungekämmten Haaren auf das gelbe Sofa vor den Fernseher legte.
„Wie machst du das nur?“, fragte Eva. „Du bist hundemüde, gerade aus dem Bett gekrochen, und siehst trotzdem noch gut aus. Mich dürfte man so nicht unter die Leute lassen.“
„Von wegen! Ich sehe aus wie ein alter Putzlappen. Aber wir sind ja alleine“, gähnte Isabella. „Du kannst mir glauben, wenn dein Mann oder sonst jemand hier wäre, würde ich mich nicht so gehen lassen.“
„Ach so ist das! Bei mir ist es dir egal wie du aussiehst? Die alte Eva kann das schon verkraften?“, spottete Eva.
„Das ist ein Kompliment, du dumme Pute! Dass es mir piepegal ist, wie ich aussehe, wenn ich mit dir zusammen bin“, Isabella hatte ein Kissen ergriffen und warf es spielerisch nach ihrer Freundin.
„Na, vielen Dank dafür und das Kompliment gebe ich dir zurück!“ Eva schmiss das
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