Die Auswanderinnen (German Edition)
die ihr klarzumachen versuchten, wie sinnlos ihre Beschwerden waren. So lange, bis ihr der Kapitän doch noch – entgegen ihren eigenen Erwartungen – in Kapstadt eine frei werdende Kabine zuteilte, nachdem ein Paar, das eine Privatkabine bewohnt hatte, von Bord gegangen war. Natürlich war dies ein Ausnahmefall, und Isabella und Dieter waren, dank Isabellas unermüdlicher Überzeugungsarbeit, die glücklichen Nutznießer. Man hatte es Isabella erst kurz vor dem südafrikanischen Landgang mitgeteilt, und sie erzählte es den anderen, während sie Kapstadt besichtigten. Uwe, Eva und Kurt gratulierten ihnen überrascht, waren gleichzeitig aber auch ziemlich neidisch. Als Dieter den anderen Paaren jedoch großzügig anbot, die Kabine tagsüber benutzen zu dürfen, verschwand der bittere Beigeschmack und sie begannen sich über die glückliche Fügung zu freuen. Eine Kabine nur für sie allein, stundenlang, das war purer Luxus! Das musste gefeiert werden – darin waren sie sich alle einig. Alle außer Johanna, die so abwesend und unbeteiligt reagierte, als ginge sie das Ganze nichts an.
„Verstehst du nicht, was das bedeutet?“, flüsterte ihr Eva. Als von Johanna keine Reaktion kam, zuckte Eva nur mit den Schultern. Johanna war manchmal so bieder und prüde, dass sogar sie, die harmlose Eva, dagegen fast frivol wirkte.
Auch die anderen ließen sich von Johannas verhaltener Reaktion auf die gute Nachricht nicht die Feierlaune während ihres fröhlichen Landgangs verderben. Sie amüsierten sich so ausgelassen, dass sie darüber fast die Zeit vergaßen und beinahe ihr Schiff verpasst hätten. In letzter Sekunde hetzten sie die Gangway hinauf, keuchend und lachend, drei junge Paare, von denen zumindest zwei offensichtlich verliebt waren, und ignorierten den missbilligenden Blick des Wachmatrosen, der, nachdem sie an Bord waren, sofort seine Trillerpfeife herausholte und das Signal gab, den Steg einzufahren. Sie hielten sich an den Händen und standen an der Reling, bis sie wieder zu Atem kamen.
Als das Schiff den Hafen verlassen hatte und die Sterne am Nachthimmel in der Dunkelheit immer heller leuchteten, ging Isabella mit Dieter in ihre Kabine. Sie freute sich auf eine endlos lange Liebesnacht, aber Dieter schlief bereits nach dem ersten Mal ein. Isabella lag danach noch lange wach, dachte an ihre laute, lebenslustige Familie in München und stellte sich vor, wie sie um den Küchentisch herumsaßen und lachten und sich dabei Geschichten erzählten. Beim nächsten Treffen würde es so viel zu berichten geben! Dann fiel ihr ein, dass es bis zum nächsten Wiedersehen noch sehr lange dauern würde. Sie hatte sich schon vor ihrer Abreise erkundigt – ein Flug von Sydney nach München kostete die unerschwingliche Summe von fast viertausend Mark, damit war ein Besuch in der Heimat in den nächsten Jahren undenkbar. Auf einmal fühlte sie sich sehr einsam und beschloss, Dieter zu wecken. Aber er schüttelte unwirsch und schlaftrunken ihre Hand ab
und drehte sich murmelnd auf die andere Seite.
Die anderen vier waren noch eine Weile im Freien geblieben und hatten den sternenübersäten Himmel betrachtet. Es war ihnen aber nicht nach Kuscheln und Romantik, und so überließen sie das Deck bald den anderen Paaren.
Eva und Johanna gingen gemeinsam in ihre Frauenkabine. Isabellas Pritsche war leer, und das schien irgendwie nicht richtig zu sein. Johanna drehte dem Bett den Rücken zu, als wolle sie Eva gegen die ungewohnte Leere schützen. Ihr Körper war wie eine Barriere, eine beruhigende Schutzmauer. Sie murmelte ein „ich hätte es gar nicht gewollt“ oder so ähnlich und Eva stimmte sofort zu, nicht ahnend, wie erleichtert Johanna war, diese Nacht nicht mit Kurt verbringen zu müssen
„Aber Isabella wollte es unbedingt“, meinte Eva.
„Isabella bekommt immer, was sie will“, erwiderte Johanna fast mürrisch. „Sie ist anders als wir.“
Eva schlief bald ein, aber Johanna lag noch lange wach und hörte den regelmäßigen Atemzügen der anderen Frauen zu. Sie bemühte sie krampfhaft, nicht an morgen zu denken. Kurt hatte sich bei Dieter gleich nach dem Frühstück die Kabine reserviert. Dieter hatte über den Eifer, der Kurt dabei ins Gesicht geschrieben stand, gelacht und gesagt: „Dass du überhaupt noch frühstücken willst, wundert mich!“ Kurt hatte darauf wiederum gefeixt, er müsse sich schließlich stärken, nach so langer Abstinenz. Woraufhin alle gelacht hatten, alle außer Johanna. Es waren
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