Die Auswanderinnen (German Edition)
kurzen Ausflug an Deck in die Arme schloss. Die Freunde standen um das Paar herum und klopften ihnen auf die Schultern. Alles würde wieder gut werden, nichts Schlimmes sei passiert. Johanna versprach Kurt, nie wieder Alkohol zu trinken. Oder nachts alleine an Deck spazieren zu gehen.
Welch ein Glück, dass Kurt sie nicht gefunden hatte, dachte sie dabei, in diesem erniedrigenden, betrunkenen Zustand. Dabei hätte sie schwören können, ihn gesehen zu haben, mit wutverzerrtem Gesicht und erhobenem Arm
Kapitel 10
Lightning Ridge, heute
Der Regen hatte endlich aufgehört. Die dunklen Wolkenformationen, die noch vereinzelt über den Himmel zogen, brachen bereits auseinander und ließen die ersten Sonnenstrahlen durch. Mira und Jo Ann saßen auf der Veranda vor dem einzigen Straßencafé in Lightning Ridge . Mira hatte selbstgebackene Blaubeer-Muffins bestellt und krümelte gedankenverloren an ihrem Gebäck herum.
„Ich muss es einfach riskieren“, sagte Mira. „Das Wasser ist jetzt fast überall zurückgegangen, und die Straße nach Norden ist wieder einigermaßen befahrbar. Ich halte es hier einfach nicht länger aus. Diese Untätigkeit macht mich noch wahnsinnig. Wie kannst du das nur das ganze Jahr über ertragen?“
Jo Ann hatte ihren Muffin bereits gegessen. Sie zuckte mit den Schultern, lehnte sich in die plastikbezogenen Kissen ihres Stuhls und verschränkte die Arme unter ihren Brüsten, die sich unter dem dünnen Stoff ihres luftigen Herrenhemds deutlich abzeichneten. „Bisher hast du immer behauptet, dass du gerne hier bist.“
„Natürlich bin ich das!“, versicherte ihr Mira. „Ich stehe morgens auf, gehe zur Mine, buddle bis zur Erschöpfung, schleppe meine Nobbies nach Hause und klopfe und schleife sie, bis ich keine Kraft mehr in den Fingern habe. Immer in der fiebrigen Erwartung, den ganz großen, einzigartigen Stein zu finden. Und danach gehe ich zu John in die Kneipe, wo ich mich halbwegs vernünftig mit Menschen unterhalten kann, die auch ohne viele Worte verstehen, warum ich das alles tue. Ganz normale Wahnsinnige, die das gleiche Fieber in sich haben wie ich. Und wie du! Leugne nicht, du bist genauso verrückt, sonst wärst du schon längst weggezogen. Spätestens nach dem Tod deines Mannes. Aber nein, du bist ganz alleine hiergeblieben und schuftest wie eine Wilde, obwohl du genauso wenig findest wie ich!“
„Genug zum Leben!“, warf Jo Ann ein. „Meistens wenigstens!“
„Das mag ja sein. Ich finde auch immer wieder genug, um weiterzumachen, aber ist es das wert, sein ganzes Leben dafür zu opfern? Ich kann jederzeit wieder in das gute, alte Brisbane zurückfahren, wenn ich die Schnauze voll habe. Zurück zu den stinknormalen Menschen, in ihren Büros und Geschäften, zu dem Verkehr, der Hektik, der ganzen schönen Zivilisation ...“
„... bis du davon wiederum die Schnauze voll hast!“
„Stimmt! Aber zumindest habe ich einen Ausgleich. Und du? Wenn ich mir vorstelle, in Lightning Ridge bleiben und einfach so weiterleben zu müssen wie in den vergangenen Wochen, ohne die Arbeit in der Mine, immer nur untätig herumzusitzen und die Zeit totzuschlagen, nein danke. Ich muss in die Stadt zurück! Und ich kann beim besten Willen nicht verstehen, wie du diese sinnlose Eintönigkeit all die Jahre über aushalten konntest und anscheinend immer noch nicht genug davon hast.“
Jo Ann lächelte. Es war nicht ihre erste Diskussion über dieses Thema. Sie führten sie jedes Mal, wenn Miras Aufenthalt in Lightning Ridge zu Ende ging. „Du musst zugeben“, argumentierte Jo Ann, „dass hier alles schon viel besser geworden ist. Gar kein Vergleich mehr zu früher!“
Mira winkte mit einer entschiedenen Handbewegung ab und verscheuchte damit gleichzeitig eine lästige Fliege. „Ja, ja, ich weiß. Das Pub! So wie John es jetzt führt mit Bingo am Montag und dem Wettbüro nebenbei ist das eine echte kulturelle Bereicherung für die hiesigen Einwohner.“ Sie lachte kehlig. „Im Ernst. Es stimmt schon, vieles hat sich hier zum Vorteil verändert, aber das kann man, was Brisbane betrifft, auch sagen. Wann warst du eigentlich das letzte Mal in einer Großstadt?“
Jo Ann dachte nach. „Ich glaube das war vor beinahe dreißig Jahren“, gab sie zu. Die Zahl erschreckte sie und Mira stockte der Atem. „Wie bitte? So viele Jahre ist das her? Das darf doch nicht wahr sein!“
„Lass mich nachdenken. Vielleicht sogar länger. Als wir in Australien ankamen, lebten wir zuerst
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