Die Auswanderinnen (German Edition)
sie zu schließen, sollte sie nicht endlich ihre Schätze herausgeben. Aber dann hoffte sie doch immer wieder von neuem und hängte noch ein weiteres Jahr an. Diese verdammte Mine verhöhnte sie! Immer wieder tauchten Anzeichen auf, die auf eine größere Ader schließen ließen und Reichtum versprachen, dann aber genauso schnell wieder in der Tiefe des Lehms verschwanden, wie sie erschienen waren.
Aber dieses Jahr würde es anders sein! Jo Ann atmete schwer vom schnellen Laufen und schloss ihr Hoftor auf. Ben, ihr alter Hund, sprang ihr freudig entgegen, begrüßte sie mit lautem Bellen und tänzelte vor ihren Beinen hin und her, bis sie ihn mit beiden Händen kraulte.
Jo Ann ging ins Haus, vollzog das gleiche Begrüßungsritual mit Tiger, ihrem zweiten, jüngeren Hund, nahm ihn am Halsband und führte ihn nach draußen. Solange sie die beiden Hunde nicht miteinander alleine ließ, gab es keine Probleme. Die Tiere respektierten sie und wagten nicht, sich in ihrer Anwesenheit zu bekämpfen. Sobald sie jedoch unter sich waren, war das etwas anderes. Das ewige Aufpassen war Jo Ann zwar lästig, aber sie konnte Tiger nicht mehr zurückgeben. Sie hatte den fast schon ein Jahr alten Welpen vor einigen Monaten aus dem Tierheim geholt, weil Ben krank geworden war und der Tierarzt sie vorgewarnt hatte, dass er mit seinen sechzehn Jahren wahrscheinlich nicht überleben würde. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, sowohl bei ihr als auch bei Tiger. Er war ein kräftiger Wachhund, der sie sofort als Herrin akzeptierte und mit seiner ganzen treuen Hundeseele beschützen wollte. Dann aber war Ben wider Erwarten genesen. Und als sie ihn aus der Klinik zurückgebracht hatte, waren die beiden Hunde sofort eifersüchtig aufeinander losgegangen. Seither musste sie die beiden getrennt halten, den einen im Haus, den anderen im Garten. Denn obwohl sie Ben mehr liebte als Tiger, wollte sie diesen nicht mehr hergeben und so würde sie in der Zeit, die Ben noch blieb, eben aufpassen müssen.
Wieder kehrten ihre Gedanken zu ihrer Mine zurück. Dieses Jahr sollte endgültig das letzte sein. Ich gebe ihr nur noch bis Ende November, schwor sie sich, dann höre ich auf. Entweder sie gibt mir bis dahin mehr als die paar Almosen, die ich ihr mühselig entreiße, oder ich mache sie dicht. Und was dann, du Schlaumeier? Du weißt doch genau, dass du hier nicht wegkannst. Dass dich die Mine mit eisernen Klauen festhält. Es gibt kein Entrinnen. Du kannst sie nicht einfach verlassen und Fremden übergeben.
Bei dem Gedanken überkam sie Schwermut. Es war doch alles sinnlos. Sie war eine Gefangene der Mine und zugleich ihre Wärterin. Für sie gab es weder Flucht, noch Begnadigung, noch Hafterleichterung. Und daran würde sich auch niemals etwas ändern. Jahr und Tag der gleiche Trott, die gleiche elende Schinderei. Sie machte das nun schon so lange, dass sie in Momenten wie diesen einfach nicht mehr wusste, warum. Warum sie überhaupt hier war! Warum sie nicht einfach einen Koffer packte, die Hunde nahm, und von hier wegfuhr. Doch, sie wusste genau warum!
Manchmal keimte sogar Hoffnung in ihr auf. John hatte die Sehnsucht nach einem anderen Leben in ihr geweckt, nach einer Zukunft, die so anders war als die trostlose Leere, die sich in ihr ausgebreitet hatte. Doch dann fiel ihr Kurt wieder ein, der Grund, warum sie keine Zukunft hatte, und Verzweiflung überkam sie. Es waren Momente, die so bitter und einsam waren, dass sie versucht war, allem ein Ende zu machen.
Doch sie hatte nie versucht, diesen Gedanken in die Tat umzusetzen. In ihren dunkelsten Stunden hielt sie sich vor, wie sehr sich ihr hiesiges Leben im Vergleich zu den ersten Jahren doch verbessert hatte. Sie konnte trotz der mageren Ausbeute aus der Mine ihren Lebensunterhalt bestreiten, war gesund, hatte ihren Garten und die Hunde, und, was ihr am wichtigsten war: Sie konnte selbst ohne jeden Zwang entscheiden, wie sie ihre Tage und Nächte verbrachte. Nein, bis auf die Tatsache, dass sie nicht von hier fort konnte und dass sie sich manchmal unerträglich einsam fühlte, hatte sie eigentlich ein angenehmes Laben.
Ein gutes Mittel gegen die aufkeimende Schwermut war Arbeit. Und so beschloss sie, ihre Schaufel aus der Werkstatt zu holen und sich ein wenig im Garten zu betätigen.
Nach einer guten Stunde hatte sie die nötige Fläche für ein neues Feld umgegraben. Schweißtropfen standen auf ihrer Stirn, sie war völlig nassgeschwitzt und fühlte sich schon deutlich
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