Die Auswanderinnen (German Edition)
in Sydney. Zwei Jahre später beschloss Kurt dann hierher zu ziehen. Seitdem war ich nie wieder in Sydney. Auch nach seinem Tod nicht.“
Mira schwieg. Sie spürte, dass Jo Ann weitersprechen wollte.
„Es kommt mir gar nicht so lange vor. Dabei wäre ich damals viel lieber in Sydney geblieben. Die Lebensumstände hier waren widerlich! Schmutzig, staubig und primitiv. Wir hatten kein Badezimmer, ja, nicht einmal fließendes Wasser! Und das bisschen, was wir in Sydney gespart hatten, war für die Ausrüstung und für den Wohnwagen draufgegangen. Ein paar Schaufeln, Pickel und Eimer, mehr hatten wir damals nicht. Wir mussten hart arbeiten, richtige Knochenarbeit war das. Kurt konnte das alleine nicht schaffen, da musste ich jeden Tag mit ihm in die Mine runter, und danach auch noch den Haushalt erledigen! Er wollte es sauber haben, und das Essen war sein einziges Vergnügen. Also habe ich geputzt und geschrubbt und gekocht, und war immer müde. Aber es hat einfach nichts genützt, der Dreck war nicht wegzukriegen.“ Sie verstummte und hing ihren Gedanken nach, bis Mira nach einer Weile wieder auf das Thema zurückkam.
„Das kann ich mir vorstellen. Im Sommer muss es besonders schlimm gewesen sein ...“
„Ja, der Wohnwagen war undicht, Staub drang durch die Ritzen und lag auf jedem Gegenstand. Schrecklich! Wir hatten auch noch keinen Kühlschrank. Ich musste alles frisch im Laden besorgen, jeden Tag auf dem Heimweg hat Kurt im Pub sein Bier getrunken, während ich einkaufen ging. Immer gerade genug für einen Tag.“
„Das klingt ja, als wäre Kurt Australier gewesen“, lachte Mira und steckte sich eine Zigarette an. „Alte Machos waren das damals, alle miteinander, der ganze verkommene Haufen.“
Jo Ann sah sie verständnislos an. „Was hätte er denn sonst tun sollen? Der Laden lag auf dem Weg, und das Pub war gleich gegenüber. Er gab mir den Schlüssel und ich konnte im Auto warten, bis er wieder herauskam.“
„Wie großzügig!“, höhnte Mira.
„Das Warten hat mir nichts ausgemacht.“
„Warum bist du nicht mit ins Pub gegangen?“
„Völlig unmöglich! Weißt du nicht mehr, Frauen hatten zu dieser Zeit doch noch nicht die Erlaubnis eine Kneipe zu betreten. Außerdem habe ich damals nie Alkohol getrunken.“
„Das hat sich mittlerweile aber deutlich geändert. Wenn Kurt dich neulich gesehen hätte! Weißt du noch, als es so geschüttet hat, und wir fast die ganze Nacht in der Kneipe versumpft sind?“
Jo Ann musste schmunzeln. Das war die Nacht gewesen, in der sie sich beinahe vergessen hätte. Solange sie noch nüchtern gewesen war, hatte sich John um seine Gäste kümmern müssen, doch als sich endlich nur noch wenige Hartnäckige an ihren Biergläsern festgehalten und nur noch selten Nachschub verlangt hatten, war er zu ihr und Mira an den Tisch gekommen und hatte sich mit ihnen unterhalten. Mira hatte dem oberflächlich dahinplätschernden Gespräch nur halbherzig zugehört und war irgendwann sogar eingeschlafen. John war daraufhin näher an Jo Ann herangerückt und hatte es sogar gewagt, seinen Arm um ihre Taille zu legen. Wie sehr hatte sie sich da gewünscht, dass er sie fest umarmen und einfach küssen würde! Voller Anteilnahme hatte er sie plötzlich gefragt, ob sie irgendetwas bedrücke. Beinahe hätte sie ihm von Evas Anruf erzählt, aber dann war ihr bewusst geworden, dass es damit nicht getan war. Wenn sie sich ihm jetzt öffnete, würde er weiterfragen, und sie würde ihm Dinge erklären müssen, an die sie schon lange verdrängt hatte. John hatte ihre ablehnende Haltung sofort bemerkt und seine Hand zurückgezogen. Und sie war, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, aufgestanden und nach Hause gegangen.
„John ist ein rücksichtsvoller, lieber Kerl. Er hat keinen Ton gesagt, als ich am nächsten Tag den Rest meiner Zeche bezahlt habe.“
„Was hätte er auch schon sagen sollen?“, entgegnete Mira. „Es geht ihn doch gar nichts an, wenn du dich betrinkst.“
„Kurt hätte dafür kein Verständnis gehabt.“ Jo Ann sah wieder auf und starrte in Miras Brillengläser. Sie konnte sich verzerrt darin sehen, wie ein Insekt, mit großem Kopf und kegelförmigem Körper. „Auch heute nicht, wenn er noch leben würde. Als wir auswanderten, damals auf dem Schiff, da wollte ich auch einmal etwas trinken. Die anderen waren immer so fröhlich, Eva und Isabella haben immer mit den Männern gefeiert und Wein oder Sekt getrunken. Aber mir war das nie erlaubt. Dabei war der Alkohol
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