Die Auswanderinnen (German Edition)
wogenden rosa Meer waren. Ihr wurde schlecht.
„Um Himmels willen, kotz uns bloß nicht die Bude voll!“, rief Isabella erschrocken aus als sie sah, dass Johanna mit kalkweißem Gesicht angestrengt ins Leere starrte. Eva half Johanna von der Matratze und die Leiter hinunter, damit sie nicht stürzte. Johanna musste sich an jedem Bettpfosten festhalten und jeden ihrer Schritte vorsichtig zu Boden setzen, um nicht ins Weltall zu stürzen. Die Welt hatte nur noch einen Radius von einem Meter, dahinter begann ein endloses schwarzes Loch. Die anderen Frauen lachten und riefen ihr gute Ratschläge zu. Nach links, die Treppe hoch, dort war der Aufzug, der schnell an die frische Luft führte. Sie zwang sich zuzuhören und versuchte sich die Worte zu merken. Ihr Magen hob sich gefährlich. Ins Freie, bitte, schnell, raus hier und an die frische Luft!
Mit erstaunlicher Geschwindigkeit war sie beim Fahrstuhl, drückte auf den Knopf und wartete, mit der Stirn an die kühle Metalltür gelehnt, auf das Summen der Kabel. Alles drehte sich um sie. Es roch nach Diesel und Öl. Dann war die Kabine da. Sie stieg ein, drückte wieder einen Knopf und presste die Hand vor ihren Mund, als der Aufzug mit einem Ruck anfuhr. Endlich oben.
Endlich an der frischen Luft. Das Deck war nur schwach beleuchtet, es war verlassen und wirkte so unheimlich wie ein endloser, düsterer Korridor. Ganz weit vorne glaubte sie Kurt zu sehen und stolperte in seine Richtung. Er würde ihr helfen. Da verhedderten sich ihre Beine in einer am Boden liegenden Seilrolle und die Bilder vor ihren Augen begannen sich zu drehen. Sie fiel, sie fing sich wieder, nein, sie stürzte. Kurt hielt sie fest, nein, er ließ sie fallen. Sie rutschte aus, übergab sich und würgte, am Boden liegend. Sie raffte sich wieder auf. Etwas Hartes traf ihren Kopf. Es tat furchtbar weh. Dann spürte sie gar nichts mehr.
Als ihre Freundinnen sie in der Morgendämmerung fanden, lag sie in ihrem Erbrochenen und konnte ihr rechtes Auge nicht mehr öffnen. Sie blutete aus mehreren Platzwunden im Gesicht und aus einer länglichen, jedoch nicht tiefen Verletzung am linken Arm. Isabella verständigte sofort den Schiffsarzt, und Johanna wurde ins Lazarett gebracht.
„Sie müssen zwei Tage hier bleiben, bis sie ihren Rausch ausgeschlafen haben“, befahl der Arzt. Er fragte sie nach der Ursache für ihre Verletzungen, doch sie konnte sich nur erinnern, über eine Seilrolle gestolpert zu sein. Er sagte nichts dazu, schüttelte aber missbilligend den Kopf und begann sie zu versorgen. Es handelte sich um keine ernsthaften Verletzungen, allein die Wunde an der Stirn musste mit fünf kleinen Stichen genäht werden, das Auge war zugeschwollen, sodass sie fast nichts mehr sehen konnte, und die ganze Zeit über war ihr grauenhaft übel. Sie wollte sterben, aus Scham, weil jeder denken würde, sie sei eine Trinkerin, und weil sie sich am liebsten die Organe aus dem Leib gespien hätte. Das Krankenbett schaukelte, als wäre das Schiff ein Ruderboot auf offenem Meer. Der Arzt gab ihr erst am zweiten Tag Pillen gegen die Seekrankheit, die sie bis zum Ende der Reise nicht mehr absetzte. Mehr könne er für sie nicht tun, sagte er, immer noch mit diesem ablehnenden Gesichtsausdruck. Frauen wie ihr sei nicht zu helfen.
„Glauben sie mir“, verteidigte sie sich, „ich trinke normalerweise nie etwas, und deshalb habe es auch nicht vertragen.“
„Das meine ich nicht“, brummte er nur. „Ziehen sie sich an, ihre Freundinnen warten draußen.“
Eva und Isabella brachten sie zurück in ihre Kabine. Einige Tage später konnte sie wieder aufstehen und an Deck gehen, auch wenn ihr Auge noch immer geschwollen war und sich unter beiden Augen Blutergüsse gebildet hatten. Kurt sei ziemlich wütend, sagte Isabella zu ihr, während sie ihr vom Doppelbett half. Eva bemerkte, wie Johanna bei diesen Worten zusammenzuckte, und meinte daher sofort beschwichtigend, Kurt mache sich eben große Sorgen.
„Der Arzt, dieser ausgemachte Trottel, hat ihm blöderweise erzählt, dass du zu viel getrunken hast“, erläuterte Isabella die Sachlage, „aber ich habe seine Aussage wieder in die richtige Perspektive gerückt. Ich habe Kurt gesagt, es sei nur ein kleiner Schwips gewesen. Das ist doch nicht weiter schlimm. Du verträgst eben nichts, hast keine Übung, meine Liebe, das ist dein Problem.“
Kurt schien jedoch nicht ärgerlich, sondern sehr besorgt und verständnisvoll zu sein, als er Johanna bei ihrem ersten
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