Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Auswanderinnen (German Edition)

Die Auswanderinnen (German Edition)

Titel: Die Auswanderinnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: helga zeiner
Vom Netzwerk:
bereits mehrere Tage seit seiner unbeherrschten Attacke an der Reling vergangen, aber Johanna spürte die Scham und den Schmerz noch genauso stark, als wäre es eben erst passiert. Kurt war ihr seither ausgewichen, oder sie ihm; wie auch immer, es war ihr unmöglich, ihn auch nur anzusehen. Sie freute sich nicht auf die Stunden, die nun vor ihr lagen – im Gegenteil, sie fürchtete sich davor.

Kapitel 9
     
     
    Aber es kam ganz anders, als sie erwartet hatte. Am nächsten Morgen beendete Kurt sein Frühstück in aller Ruhe und nahm, ohne irgendein Aufheben zu machen, den Schlüssel der Kabine von Dieter entgegen. Keine albernen Scherze, kein Gelächter. Er wartete, bis alle aufgestanden waren und sich dezent zurückgezogen hatten. Dann fragte er Johanna: „Sollen wir gehen?“ Johanna nickte ergeben und zugleich erleichtert. Der Zeitpunkt war gekommen, und sie würde nicht zurückweichen! Sie würde seine Annäherungsversuche mutig abwehren und hatte sich fest vorgenommen, ihm dabei klarzumachen, wie sehr sie ihn für sein unbeherrschtes Verhalten verachtete.
    Als er die Kabinentür hinter ihnen abgeschlossen hatte, lehnte er sich dagegen, atmete tief durch und streckte seine Arme nach ihr aus. „Bitte, komm zu mir“, sagte er sanft.
    Sie wollte ihn anschreien. „Nein, ich will dich nicht anfassen. Du bist ein widerlicher Schuft! Ich bin verletzt und wütend und ich hasse dich!“ Aber kein Laut kam über ihre Lippen, sie blieb trotzig wie ein Kind in der Mitte des Zimmers stehen. Da ging er auf sie zu, nahm sie vorsichtig in die Arme, streichelte ihren Rücken, so zärtlich wie noch nie, und begann sie leidenschaftlich zu küssen. Johanna vergaß alles was vorgefallen war. So wollte sie ihn, so wie er jetzt war, liebevoll und leidenschaftlich. Er knöpfte langsam ihre Bluse auf, und sie begann ihm dabei zu helfen. Noch ehe sie sich vollständig ausgezogen hatte, nahm er ihre Hand, küsste sie und entschuldigte sich. „Bitte verzeih mir“, flüsterte er, „ich weiß nicht, was für ein Teufel mich geritten hat. Aber ich liebe dich so sehr. Ich habe dich so vermisst. Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen.“ Er flüsterte noch vieles andere, aber sie konnte in ihrer Euphorie die einzelnen Worte nicht mehr verstehen. Die Erleichterung überwältigte sie. Er liebte sie! Er brauchte sie! Sie würde ihm alles verzeihen.
     
    Am folgenden Abend spielten die Männer Skat und die Frauen trafen sich in ihrer Kabine. Isabella hatte Schnaps mitgebracht, sozusagen als Gastgeschenk, weil sie doch nun nicht mehr dort wohnte. Johanna hätte lieber Sekt getrunken. Der perlte so hübsch im Glas und sie konnte sich vorstellen, dass er gut schmeckte. Ihre Eltern hatten ihr stets verboten Alkohol zu trinken, und im Schwesternheim war es natürlich auch nicht gestattet gewesen. Kein Alkohol in den Räumen des Heims oder man riskierte entlassen zu werden! Und so war Johanna wohl eine der wenigen Achtzehnjährigen gewesen, die auch nach dem Abschluss ihrer Studentenzeit noch immer keinen Tropfen Alkohol getrunken hatten.
    Der Schnaps brannte in ihrem Mund, und sie wollte ihn gleich wieder ausspucken, aber Isabella hatte immerhin vier Mark für die Flasche bezahlt! Also hielt sie den Atem an und schluckte ihn hinunter. Sie verschluckte sich und hustete verzweifelt. Isabella klopfte ihr lachend auf die Schultern, und auch Eva schien sich vor lauter Erheiterung nicht mehr beruhigen zu können. Dann verwandelte sich die Feuerwelle in Johannas Magen jedoch glücklicherweise in eine angenehme Hitze, die den ganzen Körper durchströmte und erwärmte. Johannas Atem beruhigte sich wieder, sie wurde grundlos vergnügt und saß mit gerötetem Gesicht einfach nur da und lachte mit. Die Flasche ging immer im Kreis herum, und Isabella bot sie nun auch den Frauen in den unteren Betten an, bis sie leer war. Sie saßen zu dritt oben auf dem Doppelbett, die Beine gekreuzt im Schneidersitz, und lachten über die belanglosesten Dinge. Eva patschte mit ihren kleinen, molligen Händen immer wieder auf ihre Schenkel, wenn sie etwas besonders lustig fand. Sie saß Johanna genau gegenüber und trug ein pinkfarbenes Baumwollkleid mit weißen Punkten. Überraschenderweise wurden diese Punkte immer größer und dann wieder kleiner. Johanna legte den Kopf auf die Seite und kniff die Augen zusammen, aber die Punkte hatten ein Eigenleben, bliesen sich wie Kugelfische auf und zogen sich dann wieder zusammen, bis sie nur noch winzige Punkte in einem

Weitere Kostenlose Bücher