Die Auswanderinnen (German Edition)
einigermaßen friedlich gewesen, auch wenn die Nervosität der Reisenden von Tag zu Tag zugenommen hatte. Dann aber, als kein Frischwasser mehr zur Verfügung stand, weil der verantwortliche Offizier in der Eile vergessen hatte die Tanks auffüllen zu lassen, schlug die Stimmung um. Die Passagiere mussten mit Salzwasser duschen und die salzige Brühe sogar zum Zähneputzen verwenden. Die Beschwerden häuften sich und wurden immer lauter, je stärker die Hygiene an Bord nachließ.
Doch als sie endlich in Melbourne anlegten und von Bord durften, schien aller Ärger vergessen. Gespannte Erwartung und Vorfreude lag in der Luft. Die Einwanderer wurden mit dem Zug nach Bonegila, einem ehemaligen Armee- und nun Auffanglager für Einwanderer, verfrachtet.
„Bin gespannt, ob wir wieder in Gemeinschaftsräumen untergebracht werden“, sagte Isabella im Zug und drückte damit eine Befürchtung aus, die von allen geteilt wurde.
Bonegila lag an der Grenze zwischen Victoria und New South Wales lag. Abseits der Stadt, versteckt in einem Waldgebiet, standen runde Hütten aus Wellblech in verschiedenen Größen malerisch am Ufer eines Sees mit Bootssteg und mehreren Grillplätzen. Das Lager hätte eine Ferienanlage irgendwo in einem mitteleuropäischen Wald sein können. Sogar die Nadelbäume sahen aus wie Kiefern und Fichten, aber bei näherem Hinsehen entdeckte Eva, dass sie kleiner und kahler waren und auch nicht nach Tannennadeln dufteten. Es war ein Mischwald, durchsetzt von Gumtrees, jenen seltsamen Bäumen mit weiß gefleckten Stämmen und nur wenig Laub in einem sonderbar fahlen Grün.
Den Familien wurden einzelne Hütten zugeteilt, und alle waren erleichtert. Auch die Paare ohne Kinder bekamen ihre eigenen, wenn auch kleineren Unterkünfte zugewiesen, die näher am Waldrand standen.
„Ein Fortschritt“, kommentierte Isabella und ging ihr Gepäck suchen. Der Bus mit den Koffern war angekommen, und jeder suchte fieberhaft nach seinem Besitz, wollte gleichzeitig aber auch eine Hütte beschlagnahmen, eine Dusche nehmen und das Camp besichtigen. Die chaotische Betriebsamkeit legte sich erst wieder gegen Abend, als alle ihre Sachen gefunden und sich einigermaßen in ihrem neuen Zuhause eingerichtet hatten. Ohne sich abgesprochen zu haben, trafen sich die drei Freundespaare am Ufer des Sees, etwas abseits der noch kalten Grillstellen, an denen sich bereits größere Gruppen gebildet hatten.
Johanna forschte in den Gesichtern der anderen nach Anzeichen, wie es ihnen im Lager gefiel. „Ist doch ganz nett hier“, begann sie vorsichtig. Kurt hielt ihre Hand, nicht fest, nicht sanft, einfach so wie immer.
„Spinnst du?“, begehrte Isabella auf. Ihr üppiges, straff nach hinten gebundenes Haar schwang durch die Luft, und sie hatte die Brauen wütend zusammengezogen. „Das hier ist ein Konzentrationslager! Die Hütten sind doch baufällig. Die Dächer sind undicht und wir werden klatschnass werden, sobald es regnet. Und habt ihr die Toiletten gesehen? Das sind gerade einmal bessere Löcher im Boden! Genauso schlimm wie die in Italien bei meinen Verwandten, und die habe ich mich geweigert zu benutzen, seitdem ich vierzehn bin! Meine Matratze hängt bis zum Boden durch, und ich möchte nicht wissen, wie viele Läuse sie beherbergt!“
„Nun mach mal halb lang“, sagte Dieter mit seiner sanften Stimme. Es klang trotzdem wie eine Rüge. Und den anderen erklärte er: „Meine liebe Frau ist ein bisschen verwöhnt. Das einzige Mädel in einer italienischen Familie mit drei Brüdern. Ihr könnt euch vorstellen, was da ablief. Prinzessin brauchte nur mit dem Finger zu schnippen, da waren die Jungs auch schon in Habachtstellung. Und Papa liebte seine Kleine so abgöttisch, dass er ihr immer erzählt hat, sie brauche sich ihre Hände niemals mit Arbeit schmutzig zu machen. Da ist so ein einfaches Camp natürlich nicht nach ihrem Geschmack.“
Isabella stand auf, drehte sich zum See und starrte aufs Wasser. Sie fühlte sich von Dieter verraten. „Da liegst du falsch“, erwiderte sie schließlich, ohne ihn dabei anzusehen, aber laut genug, damit sie alle hören konnten, „und das weißt du auch. Ich bin nicht verwöhnt, ich bin nur ehrlich. Das hier ist eine billige Absteige, und ich wette, dass das Essen sogar noch schlimmer ist als auf dem Schiff.“
„Das war doch gar nicht so schlecht“, meinte Kurt. „Mir hat’s jedenfalls geschmeckt!“ Er taxierte Isabellas Rücken. Sie hatte einen verflucht knackigen Arsch in den
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